Welche Rolle spielen KI-basierte Assistenzsysteme im klinischen Alltag? Dazu brachte Prof. Dr. Martin Hirsch einen Realitätscheck und Ausblick. Und er startete mit einer wenig schmeichelhaften Einschätzung für Deutschland: Die KI setzt immer auch auf Digitalisierung auf – und das sei hierzulande ein Problem, weil immer noch zu viel analog bearbeitet und übermittelt werde, es fehle an der digitalen Infrastruktur.
KI braucht Daten, und „viele Daten haben wir nicht digital“, so Hirsch. Die elektronische Patientenakte sei nicht praxistauglich. Selbst Entwickler einer KI-Anwendung, der Diagnose-App „Ada“, ist Hirsch seit 2020 Inhaber der neu eingerichteten Professur „Künstliche Intelligenz in der Medizin“ am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg sowie des Universitätsklinikums Marburg.
KI in der Medizin sei aktuell ein Hype-Thema in der Forschung, aber Anwendungen für die Praxis seien noch rar. Das liege auch an den fehlenden validen Daten für einzelne Fragestellungen, auch sei die Datenmenge oft zu gering, um eine KI zu trainieren, so dass sie zuverlässig arbeiten könne. Im Alltag steckten diese Anwendungen in Deutschland noch in den Anfängen.
Großes Potenzial hätten Chatbots für die Anamnese. „Die fragen ohne Zeitdruck alles ab, was abgefragt werden muss“, so Hirsch. Auch verschiedene andere Anwendungen, die über Sensoren und Smartphone-App zum Beispiel Blutdruck, Herzfrequenz, Lungengeräusche oder Laborwerte erfassen, könnten in der Vordiagnostik wichtige Hilfen sein und in die elektronische Patientenakte einfließen, wenn diese denn mal sinnvoll funktionieren würden. „Aber nur dann, wenn KI ethisch fundiert ist, wird sie ihr Potenzial in Medizin, Pharmaindustrie und Gesundheitswesen voll entfalten können.“