Es wird Nachmittag und so langsam muss ich mich mit der Übernachtungsfrage auseinandersetzen. Doch erstmal geht es hinter Bad Dürkheim durch eine malerische Weinlandschaft. Schließlich komme ich in Oggersheim an, dem größten Stadtteil von Ludwigshafen, der vor allem deshalb bekannt wurde, weil hier Helmut Kohl gelebt hat.
Es interessiert mich, wie der Kanzler der deutschen Einheit so gelebt hat, und den Weg zu seinem Bungalow zu finden ist nicht schwer. Da steht noch ein Überwachungshäuschen von der Polizei davor, erklärt mir eine Anwohnerin. Doch die Polizei wacht offenbar nicht mehr vor dem Anwesen. Den Namen „H. Kohl“ auf dem Briefkasten hat seine Witwe nie angepasst. Es ist eine sterile reiche Umgebung, Villa reiht sich an Villa. Und eine Ecke weiter ein Brennpunktviertel. Parallele Welten.
Doch wenige Straßen von Kohls entfernt finde ich tatsächlich eine Schlafmöglichkeit. Tom und Christine haben sich hier mit ihren beiden Kindern ein idyllisches Haus mit Garten gebaut, wo die passionierten Radreisenden anderen Radlern offerieren, zu zelten. Die Gelegenheit nutze ich gern und so sitzen wir bei alkoholfreiem Weizen noch lange zusammen.Die beiden erzählen mir von ihrer Ukrainereise mit dem Rad 2004, damals noch ohne Kinder. Die Challenge damals: zwei Fahrräder im Zug nach Kiew verstauen, obwohl das eigentlich gar nicht erlaubt war.
Der Schaffner habe kein Englisch gesprochen, ihnen aber mit einem langen ukrainischen Monolog den Zustieg verwehrt. „Da habe ich ihn einfach auf Deutsch so lange zugetextet, bis er völlig überfordert war und weggegangen ist“, erzählt Christine. Diese Chance nutzte das Paar, trug schnell die Räder hinein, verstaute die Taschen, so gut es ging und konnte die Räder an der Hutablage aufhängen. Als der Schaffner zurückkam, lächelte er zufrieden: Problem gelöst. „Er hat uns dann Tee frisch aus dem Samowar serviert", erinnert sich Tom.
Um 22 Uhr steige ich müde, aber zufrieden in mein Zelt. Tag drei endet nach 97 Kilometern, schon deutlich mehr als an den ersten beiden Tagen. Ich bin gut drauf und gespannt auf die kommenden Tage.
Michael Merten