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"Mir schaffen das auch so!"

07:22
05.07.2023
"Können wir dir weiterhelfen?", fragen mich einige Crewmitglieder, die vor einem Bauwagen sitzen. Es ist zehn Uhr am Morgen und gleich ist Drehbeginn in einem Reihenhaus in Mannheim. Mit viel Liebe zum Detail hat die Crew hier die Achtziger Jahre wieder aufleben lassen. Ich erkläre, dass ich ein Freund von Christian bin und werde sofort herzlich aufgenommen. Wenig später kommen auch Christian, seine Frau Britta und ihr drei Monate alter Sohn Jannis ans Set. Wir begrüßen uns herzlich, auch wenn wenig Zeit zum Austausch bleibt, denn Christian und sein Sohn haben einen Gastauftritt im Film. Auch Tante Julie hatte vor einigen Tagen einen kurzen Auftritt: Sie spielte eine Putzfrau, also den Beruf, mit dem sie sich seit Jahrzehnten über Wasser hält. Christian erzählt, dass sie heute eine Szene gedreht haben, in der Tante Juli einen Brief von ihrem Partner erhalten hat, der die Familie verlassen hat, weil ihm das mit den vielen Kindern zu viel wird. "Tante Julie sagt zum kleinen Christian und den anderen Kindern: Mir schaffen das auch so. Eine sehr emotionale Szene", erzählt mir Christian. Das sei traumatisch gewesen, und er erlebe diese extremen Empfindungen gerade noch mal neu durch. 

Christian sagt, dass viel zu wenig über Armut in reichen Ländern wie Deutschland geschrieben werde. Auch für ihn sei das ein schwieriger Weg gewesen. "Ich wollte jahrelang nichts von meinem Vater wissen", sagt Christian. Sein Bruder stand an dessen Sterbebett; er selbst nicht. Und der Bruder war es auch, der Christian klarmachte: "Denk doch mol noo. Der ist der Mann geworden, der er wegen seiner eigenen Prägung werden musste. Der hatte keine Tante, dir ihn gerettet hat, der ist bei seinem gewalttätigen Vater geblieben. Und da hat es bei mir klick gemacht." Christian betont: "Er wollte seiner Familie schon was bieten, aber er kam als Möbelpacker nicht voran. Klassischer working poor."

Fünf spannende Stunden verbringe ich am Set, dann muss ich gut strampeln, um die Zeit aufzuholen. Am Ende von Tag vier bin ich in Neckarbischofsheim und es geht mir gut nach den ersten 319 Kilometern mit 2.517 Höhenmetern. Weder Knie noch Rücken, Gesäß, Beine oder Hände machen Probleme. Ich würde sagen: Kiew kann kommen!

Michael Merten

Foto: Michael Merten Eine Szene am Set mit Svenja Jung als Tante Juli