Zwei Tage habe ich gerastet - mehr oder weniger. Denn ein Treffen mit Radbegeisterten sowie das Schreiben von Tagebuch und Blogtexten sowie die Social Media-Arbeit für mein Charityprojekt machen zwar Spaß, kosten aber auch Energie. Am dritten Tag, dem 27. Juli, heißt es für mich aufzubrechen. Zunächst bin ich jedoch im Rathaus eingeladen, wo mich Bohdan Shuster empfängt. Der Bürgermeister von Wynnyky zeigt mir die Sachspenden, die seine Mitarbeiter regelmäßig in den Osten des Landes schicken. Und er zeigt mir ein A4-Blatt mit einer Liste, über die sich auch Artem mit großem Interesse beugt. Sie enthält Namen und Lebensdaten, schnörkellos dokumentiert für die Nachwelt. Es ist eine Aufstellung der Gefallenen aus dem Ort.
1. Кабаков Дмитро Володимирович (22.10.1963 – 25.02.2022)
2. Костів Андрій (10.12.1985 -29.03.2022)
3. Корольов Сергій (06.07.1973 – 13.06.2022)
4. Гриновець Ігор (30.05.1971 – 21.09.2022)
Einige dieser Soldaten haben schon Tage nach dem russischen Überfall ihr Leben gelassen. Andere sind erst 1995 oder 1997 geboren worden und liegen doch bereits unter der Erde. Die Nummern 17 und 18 sind handschriftlich ergänzt worden. Doch für Artem ist die 17 keine Nummer. Es ist sein Cousin Bohdan-Mykhailo Khomyk.
"Mein Cousin interessierte sich seit seiner Kindheit für das Boxen und nahm an vielen sportlichen Aktivitäten teil, die mit dem Boxen zu tun hatten. Außerdem lernte er selbst das Gitarrenspiel. Er machte eine Ausbildung zum Küchenchef", erzählt Nataliia mir. 2013 trat er einer Spezialeinheit bei, bei der er zwei Jahre blieb. 2020 wurde er Auftragnehmer des 15. Bataillons der 128. Mountain Assault Brigade. "Seit den ersten Tagen der großangelegten Invasion durch die Russische Föderation waren Bogdan und seine Brigade voll in die Verteidigung der Ukraine und der Zivilbevölkerung eingebunden", sagt Nataliia. Er erlitt mehrere Prellungen und brach sich ein Bein, doch Bogdan war patriotisch gesinnt: "Er hatte einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und kehrte deshalb nach den erlittenen Verletzungen an die Front zurück", so seine Cousine.
Bogdan nahm an der mit großen Hoffnungen verbundenen Gegenoffensive seines Heimatlandes teil. Seine Frau Vira, seine dreieinhalb Jahre alte Tochter Victoria, seine Mutter Iryna, sein Vater Roman und seine Schwiegermutter Nadia hofften, dass er heil zurückkehren würde. Doch diese Hoffnung wurde zerstört: Bogdan starb am 17. Juni in P'yatykhatky in der Region Dnipropetrovsk.
"Bogdan war ein großer Sohn seiner Familie und wir sind tief betrübt über seinen Tod", sagt Nataliia, die zwar in Luxemburg und geografisch weit weg, aber eng mit ihren Angehörigen verbunden ist.
Was bleibt ist der Stolz auf den Mut und ehrenhaften Einsatz Bogdans, der zahlreiche hohe Ehrungen erhielt, darunter das Graue Barett. Er liegt auf dem Marsfeld in Lviv begraben, das ich vor ein paar Tagen besucht habe.
Was bleibt, ist auch die Hoffnung der Menschen, dass ihr Kampf nicht vergebens ist. "Ruhm und Wille der Ukraine sind noch nicht tot", heißt es in der Nationalhymne; "das Schicksal wird uns zulächeln".