Weil ich am dritten Tag recht früh über die Grenze gelangen möchte, bin ich um 7 Uhr abfahrbereit. Ich bin vorsichtig, denn als ich im Dezember 2022 mit dem Hilfskonvoi von LUkraine über diesen Grenzübergang gefahren bin, haben die Formalitäten die ganze Nacht gebraucht. Jetzt habe ich zwar nicht so lange anstehen müssen, doch mein Fahrzeug ist nicht im System vorgesehen. Ich warte und überlege mir, wie ich reagieren soll. Doch dann winkt mich die Grenzbeamtin zu sich. Sie hat eine Lösung für das Problem gefunden. Der Fahrer eines Sprinters, der einige Ukrainer nach Tschernobyl fährt, hat sich bereit erklärt, mich mit über die Grenze zu nehmen. Also hieven wir das Fahrrad mit Taschen in den Gepäckbereich und ich setze mich zu den Fahrgästen dazu. Meine Sitznachbarin lebt in Deutschland und besucht nun ihre Eltern, die in Tschernobyl geblieben sind. Ich bin irritiert, denn ich war davon ausgegangen, dass dort seit der Atomkatastrophe von 1986 niemand mehr lebt. Meine Nachbarin lächelt und sagt: Doch, schon, da leben noch Menschen. In den Gegenden, wo die Strahlungsbelastung nicht hoch ist. Es sind Leute, die ihrer Heimat so verbunden sind, dass sie diese Risiken in Kauf nehmen.
Im Sprinter sitzend, ist der Grenzübertritt eine bequeme Sache. Mein Pass wandert von der polnischen Beamtin zu mir zurück, dann zu den ukrainischen Beamten. Nach einer Stunde sind wir abfahrbereit. Der Fahrer lässt mich an einem Rastplatz ein oder zwei Kilometer hinter der Grenze aussteigen. Die Chance, mein obligatorisches Foto mit dem Grenzschild zu machen, ist deshalb dahin, doch was soll es! An der nächsten Tankstelle besorge ich mir erstmals kaltes Wasser, denn es ist jetzt schon recht heiß und geht – in der Ukraine ist es eine Stunde später – auf Mittag zu. Der Verkehr ist auf der gut ausgebauten Straße nach Lviv überschaubar. Einige LKW brettern mit hohem Tempo an mir vorbei, doch die meisten Fahrer halten Abstand. Dass ich jetzt in einem Land im Kriegszustand bin, könnte ich ausblenden, denn von der Landschaft her hat sich nichts verändert. Doch ich werde immer wieder an die traurige Realität erinnert. Durch den verlassenen militärischen Checkpoint. Durch die großen Reklametafeln, die alle paar Kilometer für den Dienst bei der Armee werben. Durch die fünf Flaggen auf dem Dorffriedhof, die über den Gräbern von Gefallenen wehen.