Ein Narr hält ein Friedensfähnchen in Regenbogenfarben in der Hand, ein anderer hat eine FFP2-Maske an seinen langen Stab gebunden: Der Krieg in der Ukraine und Corona - die beiden Themen sind unweigerlich gegenwärtig beim Narrensprung in Rottweil, einem Höhepunkt der schwäbisch-alemannischen Fastnacht.
Als die Kleidlesträger am Montagmorgen bei Eiseskälte ihren pandemiebedingt verkürzten Zug durch die Stadt starten, musizieren zwar die Kapellen. Die Narren lassen Peitschen knallen und Schellen klingen und überall ertönt der hier typische Narrenruf, ein kurzes «Huhuhu». Doch viele sagen: «Die Stimmung ist gedämpft.»
Da ist zum einen die begrenzte Teilnehmerzahl: Wegen Corona dürfen nur 1000 statt der sonst üblichen 4000 Narren aufziehen. Und die Besucherzahl wurde von rund 20 000 auf 4500 deutlich reduziert. Wer kein Blasinstrument spielt oder keine der sogenannten Larven aus Holz vorm Gesicht trägt, muss FFP2-Maske tragen. Trotzdem könne man sehen, ob das Publikum lache, sagt eine Närrin. «Das funktioniert schon.»
Zum anderen denken viele an den «saublöden Krieg», wie es ein Narr formuliert. In den Gesprächen wird beispielhaft deutlich, wie viele Menschen das Für und Wider des Narrensprungs abgewogen haben.
Ein Narr ist «stolz und froh, dass die Narrenzunft das organisiert hat». Vergangenes Jahr fiel das historische Ereignis, dessen Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert dokumentiert sind, offiziell wegen Corona aus. Nur etwa 25 Narren sprangen im mittelalterlichen Zentrum der ältesten Stadt Baden-Württembergs durch das Schwarze Tor.
Dieses Jahr wollten die Narren der abklingenden Pandemie trotzen. Schon während der Hochphase der Pandemie drängten die Narren auf die Fastnacht, wie die Fußballfans in die Stadien. Brauchtum sollte am Leben gehalten werden. Dabei fiel der Narrensprung nur vergangenes Jahr aus: 2020 wurde der erste Corona-Fall in Baden-Württemberg erst am Fastnachtsdienstag gemeldet. Der Lockdown folgte Wochen später.
Während dieses Jahr vielerorts größere Umzüge abgesagt wurden, verringerte Rottweil zwar die Teilnehmerzahl. Zugänge zur Hauptstraße lassen sich aber gut mit Gittern abriegeln, Eintrittskarten und Impf- oder Genesenennachweise sowie aktuelle Tests gut kontrollieren.
Die Tradition aufrechtzuerhalten ist ein Anliegen, das auch am Montag viele der Beteiligten betonen. Manche Narren sind seit der Kindheit dabei. Laufen mit - verkleidet zum Beispiel als Federahannes mit derbem Männergesicht, aus dem zwei große weiße Zähne hervorstechen, oder Gschellnarr mit freundlicher Maske und rund 20 Kilogramm schweren Schellen, die bei jedem Schritt klingen.
Urtümlich ist die Fastnacht hier. Nur einige Kostüme der Zuschauer und Zuschauerinnen erinnern an den rheinischen Karneval. Ansonsten haben die Rottweiler derartige Einflüsse abgewehrt. «Der Rottweiler Narrensprung mit seiner langen Tradition ist für viele Menschen viel mehr als eine Fastnachtsveranstaltung, er ist ein ganz wesentlicher Bestandteil ihrer Identität», sagt der Zweite Narrenmeister der Narrenzunft Rottweil, Georg Hauser. «Wir wollten den Bürgern nach zwei Jahren Pandemie wieder etwas Normalität zurückgeben und das ist uns bei allen Einschränkungen dennoch gelungen.»
Doch der russische Präsident Wladimir Putin hatte ausgerechnet am Donnerstag, für die Narren der «Schmotzige Dunschtig», seine Armee in die Ukraine geschickt. Für eine Absage des Narrensprung hätte es eine breite Diskussion gebraucht, sagt Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß (parteilos). «Das war in der Kürze der Zeit diesmal nicht mehr möglich.» Und als 1991 der Narrensprung wegen des Golfkriegs abgesagt worden war, fand er unorganisiert statt. Angesichts der Pandemie wollten die Verantwortlichen dieses Risiko jetzt nicht eingehen.
Der Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte, Roland Wehrle, hatte ebenso für eine bescheidene Fastnacht plädiert. Man solle nicht ganz auf Bräuche und Traditionen verzichten. Die Fastnacht sei ein großes Miteinander, das Menschen zusammenführt.
In der Karnevalshochburg Köln hingegen wurde der Rosenmontagsumzug abgesagt und in eine Friedensdemo umgemünzt. Das Vorgehen findet Mathis Heidger vom Freundeskreis Asyl Rottweil gut. «Warum nicht mal zusammenstehen für ein anderes Thema als Impfpflicht oder Corona-Maßnahmen?» Er wolle das Feiern niemandem verbieten, sagt der Migrationsberater. «Aber für mich hat es einen Beigeschmack. Wenn Krieg und Elend ausbricht, was gibt es da zu feiern?»
Jeder könne selbst entscheiden, ob ihm im Moment zum Feiern zumute ist, meint dagegen ein Narr. Alle seien freiwillig da. Und Zuschauerin Elfriede Vogt nutzt die Gelegenheit sogar als Ablenkung. Es sei schön, dass es trotz allem möglich sei, ein bisschen Freude zu verbreiten, sagt sie. Sie erfreue sich an jedem einzelnen Narr. «In dieser einen Stunde vergisst man die beschissene Lage ein wenig.»
(dpa)