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Gehen Sie mit den Lehrkräften in unserem Land anständig um!

14:02
12.07.2018
Meine komplette Rede heute im Landtag zu unserem Dringlichkeitsantrag hier für Euch zum Nachlesen:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

In gut zwei Wochen verabschieden sich unsere bayerischen Schülerinnen und Schüler in die schönste Zeit des Jahres, in ihre wohl verdienten Sommerferien.
Es gibt aber einen verdammt bitteren Beigeschmack bei dieser Freude. Denn viele derjenigen, die diese Schülerinnen und Schüler über ein Jahr betreut und ihnen ne Menge beigebracht haben, die ihnen auf ihrem Lebensweg mehr als nur Wissen mitgegeben, können nicht in eine Erholungsphase gehen.
Warum? Weil der Arbeitsvertrag vieler bayerischer Lehrerinnen endet. Sie gehören zu den vielen befristeten Lehrkräften, für die der Beginn der Sommerferien nichts anderes als Arbeitslosigkeit heißt. Ihnen bleibt nichts anderes als der Weg zur Arbeitsagentur.
Millionen Menschen in unserem Land fahren in den nächsen Wochen in den Urlaub fahren – mit ihren Freunden oder ihren Familien. Diese Lehrerinnen und Lehrer können das nicht. Sie können nicht mal planen, wie ihre Zukunft weitergeht, weder im Beruf noch familiär. Sie hängen völlig in der Schwebe.
Oder lassen Sie es mich ausdrücken wie der deutsche Realschullehrerverband, dessen Vorsitzender Jürgen Böhm aus Bayern stammt: Er nennt die Realität an unseren Schulen „Hire and fire“.

Wir sagen Ihnen seit Jahren wie diese Realität aussieht.
Die Zahl der befristeten Beschäftigten in unseren Schulen steigt und steigt und steigt.
An den Grund- und Mittelschulen von 2012 bis 2016 um knapp 50 Prozent auf 1.480 Lehrkräfte.
An den Realschulen waren sogar 69 Prozent, von 790 auf 1.332 Lehrkräfte.
Insgesamt waren 2016 fast 7.000 Lehrkräfte in Bayern i nur mit befristeten Verträgen angestellt. (Aktuellere Zahlen hat uns das Kultusministerium leider nicht zur Verfügung gestellt.)

Welcher junge Mensch will mit so einer Perspektive Lehrer werden? Wer will sich so einer „Einstellungspolitik nach Gutsherrenart aus dem letzten Jahrtausend“ ausliefern? So hat es Jürgen Böhm vom Realschullehrerverband genannt.

Wer hier in diesem Saal würde so mit sich umgehen lassen wollen? Ich sag Ihnen niemand.
Und dann frag ich die dafür Verantwortlichen in Bayern, die Abgeordneten der CSU: Wenn Ihre Kinder oder Enkel den Lehrerberuf ergreifen, wollen Sie, dass ihre Kinder dann mit befristeten Verträgen abgespeist werden? Und jedes Jahr im Juli und August darauf hoffen, dass der Staat sie nach den Sommerferien vielleicht wieder einstellt. Sie vielleicht irgendwann mal in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis aufnimmt?
Ich sage Ihnen wie Ihre Antwort lautet: Nein, das wollen Sie nicht. Weil sie wollen, dass ihre Kinder anständig behandelt werden.
Und deswegen sage ich: Gehen Sie mit den Lehrkräften in unserem Land anständig um. Geben Sie den Lehrerinnen und Lehrern in unserem Land endlich Planungssicherheit für ihr Leben.

Und lernen Sie von den Mathematik-Lehrern endlich Statistiken lesen. Das ist doch nicht so schwer:
- Die Geburtenrate und der Zuzug steigen,
- Die Zahl der Studierenden im Lehramt sinkt
- Die Pensionsreife von aktiven Lehrern ist demografisch klar
Dann nehmen Sie noch hinzu:
- Die Klassengrößen: immer noch viel zu groß
- Die Unterrichtsausfälle an bayerischen Schulen: eklatant hoch
Mit diesen Daten können Sie sehr einfach ausrechnen, welchen Bedarf wir an Lehrkräften haben. Und dass wir diesen Beruf wieder attraktiver machen müssen.

Setzen dann noch ihren Menschenverstand ein:
Es gibt eine sogenannte mobile Reserve. Einen Pool aus Lehrkräften, die bei Mutterschutz, Elternzeit oder Krankheitsvertretung einspringen.
Dieser Pool funktioniert noch am 1. Schultag im September.
Am 2. Schultag geht die Misere schon los.
Und wenn die Grippewelle im Herbst kommt, ist der Pool schon alle. Das Chaos und der Unterrichtsausfall perfekt.

Liebe Leute der Staatsregierung, lernt doch endlich aus euren Fehlern der Vergangenheit und lernt von Fachleuten, was die nackten Zahlen euch sagen. Das ist keine Hexerei.

Wenn Unternehmen so arbeiten würden, dann müssten die ihre Produktion stilllegen. Ja sollen wir denn unsere Bildungseinrichtungen wegen Lehrermangel irgendwann stilllegen. Wir brauchen jeden Lehrer!! Und wenn Sie ehrlich sind, ist ihr Umgang mit den Befristungen bei Lehrer zutiefst unanständig. Denn alle Lehrer, die sie im August kündigen, stellen Sie doch wieder im September ein – weil die sonst fehlen!! Und damit es keine Kettenverträge werden, ersetzen sie einfach den einen Befristeten durch den nächsten. Abgesehen davon, dass dies zutiefst unanständig ist, weiß doch jeder von uns, dass gute Bildung mit Beziehung zusammenhängt. Und gute Bildung funktioniert eben nur, wenn die Bezugsperson nicht jedes Jahr oder Monat wechselt.

Gehen Sie mit unserem einzigen Rohstoff in unserem Land anständig um, das sind unsere Kinder und ihre Bildung. Wir haben keinen anderen Rohstoff.

Dabei ist es eine paradoxe Situation: Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer können aufgrund der hohen Arbeitsbelastung nicht bis ins Ruhestandalter unterrichten.
Umgekehrt werden aber junge, qualifizierte Kräfte mit befristeten Verträgen abgespeist oder erhalten erst gar keine Einstellung.

Doch noch immer sind keinerlei Maßnahmen seitens der Staatsregierung ergriffen worden, diese unsichere Situation zu lösen und für mehr Planungssicherheit zu sorgen.
Es scheint fast so, als würde die bayerische Staatsregierung die befristete Beschäftigung systemisch einsetzen, um die Defizite einer verfehlten, nicht vorausschauend angelegten Bildungspolitik zu kompensieren. Und das auf Kosten der Betroffenen!

Die Forderungen sind deshalb:
Schicken Sie in diesem Juli nicht Tausende von Lehrerinnen und Lehrer in die Arbeitslosigkeit.
Gehen Sie als Arbeitgeber mit gutem Vorbild voran und schaffen sie die (sachgrundlose) Befristungen im öffentlichen Dienst ab.

Natascha Kohnen