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Steigende Corona-Inzidenz: Debatte um Impfen und Schulen

07:57
13.07.2021
Die drohende vierte Corona-Welle bestimmt die Debatte. Wie soll es im Kampf gegen das Virus weitergehen? Dabei steht sogar der Begriff «vierte Welle» selbst in der Kritik.

Berlin - Die Debatte um die Impfpflicht für Schul- und Kitapersonal, die Situation der Schulen nach den Ferien und die steigende Corona-Inzidenz in Verbindung mit immer mehr Geimpften: Die aktuelle Corona-Situation ist vielschichtig und bei vielen Fragen gibt es unterschiedliche Vorstellungen.
   
Wie sehen die aktuellen Zahlen aus?

Seit einer Woche steigt die 7-Tage-Inzidenz jeden Tag an. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts lag sie heute Morgen bei 6,5. Genau eine Woche zuvor betrug der Wert von Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen 4,9. Die Gesundheitsämter in Deutschland haben RKI binnen eines Tages 646 Corona-Neuinfektionen gemeldet, es gab 26 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Die für die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus maßgebende Reproduktionszahl lag laut RKI gestern bei 1,15. Die Zahl bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 115 weitere Menschen anstecken. Liegt der Wert anhaltend über 1, steigen die Fallzahlen. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab.

Was passiert heute?

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) besuchen das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Merkel wolle sich über aktuelle Aufgaben, Vorhaben und Herausforderungen beim RKI austauschen, hieß es vorab von Regierungsseite. Außerdem gehe es bei den Gesprächen um den Einfluss der Impfkampagne auf den Pandemieverlauf. Im Anschluss ist eine gemeinsame Pressekonferenz geplant (12.00 Uhr).
Das Impfen und die vierte Welle

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, fordert eine intensivere Impfkampagne. "Ich vermisse den TV-Spot zum Impfen vor der Tagesschau. Und dann müssen wir direkt vor Ort informieren, und zwar genau da, wo die Impfbereitschaft bisher gering ist. Wir müssen auf die Menschen zugehen", sagte Reinhardt der "Rheinischen Post". Man müsse nicht nur Sportvereine, sondern auch Kulturvereine und Glaubenseinrichtungen für die Impfkampagne mit ins Boot holen. "Statt zu verordnen, müssen wir vor Ort sein."

Die Frage, inwieweit die erhöhten Inzidenzwerte zu einer Belastung des Gesundheitssystems führen werden, hänge maßgeblich von der Impfquote ab, sagte Reinhardt. "Ich finde, jeder Erwachsene steht in der Verantwortung, durch seine Impfung dazu beizutragen, das Infektionsgeschehen niedrig zu halten - auch zum Schutz der Kinder. Sie sind bisher die großen Verlierer der Pandemie."

Anstieg der Inzidenz - weniger schwere Verläufe

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, sagte der Zeitung: "Wir haben in Deutschland aktuell mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung geimpft, was sich deutlich in der Belegung der Intensivstationen bemerkbar machen wird. Wir erwarten bei einem erneuten Anstieg der Inzidenzen deshalb eine deutlich flachere Kurve mit Blick auf die schwer erkrankten Patienten."

Das sieht der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, ähnlich. Mit Blick auf den Herbst sagte er der "Bild": "Wir erwarten bei gleicher Inzidenz viel weniger Corona-Patienten in den Kliniken." Deshalb sieht er auch den Begriff der "vierten Welle" kritisch: "Das sorgt bei den Bürgern nur für die Angst, dass mit steigenden Fallzahlen die Intensivstationen wieder mit Covid-Patienten volllaufen - dank der Impfung wird das aber nicht der Fall sein."

Vorsicht ist aus Sicht von Intensivmediziner Marx aber dennoch weiter angemessen: "Sollten die Infektionsraten sprunghaft ansteigen und ungebremst anwachsen, werden wir auch wieder eine deutliche Zunahme an schwer kranken Patienten erleben, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Denn wir dürfen eben nicht vergessen: 40 Millionen Menschen in Deutschland sind eben noch nicht geimpft."

Offene Schulen?

"Die Bundesregierung muss die Sommermonate nutzen und alles tun, damit die Schulen nach den Sommerferien wieder in den normalen Regelbetrieb kommen", sagte FDP-Generalsekretär Volker Wissing dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Die Alternativen Fernunterricht und Wechselunterricht sind nach so langer Zeit keine Optionen."

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes klingt verhaltener. "Das Szenario eins, von dem wir alle hoffen, dass es Wirklichkeit wird, heißt vollständiger Präsenzunterricht mit einer Sicherheitsphase von mehreren Wochen, wo weiterhin erhöhte Gesundheitsschutzmaßnahmen gelten", sagte Heinz-Peter Meidinger dem RND.

"Zur Wahrheit gehört aber auch dazu, dass das nicht ausreichen wird, um die vierte Welle zu verhindern, weil sich diese auch außerhalb der Schulen durch Kontakte ungeimpfter Jugendlicher untereinander verbreiten wird." Deshalb dürfe auch eine "erneute Phase des Wechselunterrichts", bei der Vorbereitung auf das nächste Schuljahr nicht ausgeblendet werden, so der Lehrerpräsident.

Impfpflicht für Schul- und Kitapersonal

Die Forderung nach einer Impfpflicht für das Personal in Kitas und Schulen stößt weiter auf Kritik. Lehrerpräsident Meidinger argumentierte in der "Augsburger Allgemeinen": Nach unserem Kenntnisstand ist die Impfbereitschaft bei Lehrkräften sehr hoch, so liegt die Quote der bereits erstgeimpften Lehrkräfte in einigen Bundesländern bei nahe 90 Prozent." Die Hauptinfektionsgefahr für die Kinder und Jugendlichen drohe also nicht von Erwachsenen und schon gar nicht von Lehrkräften, sondern von Gleichaltrigen.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bekräftigte gegenüber der "Rheinischen Post": "Eine Impfung gegen Covid-19 muss die freiwillige Entscheidung jedes Einzelnen sein. Hier muss und wird die Politik zu ihrem Wort stehen. Das gilt auch für Lehrer und Erzieher." Der Humangenetiker Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat hatte am Montag eine Impfpflicht für das Personal gefordert.

Corona-Olympia: Wie Tokio das Risiko ausschalten will

07:54
13.07.2021
Die Olympia-Teilnehmer müssen sich in Tokio in einem engen Corona-Regelkorsett bewegen. In den leeren Arenen und im Athletendorf soll die Gefahr von Infektionen minimiert werden.

Tokio - Mit strikten Regelbüchern, dem Ausschluss der Fans und einem Corona-Notstand für Tokio wollen die Olympia-Gastgeber das Infektionsrisiko während der Sommerspiele minimieren.

Für die Olympia-Beteiligten werden es außergewöhnliche Tage mit stark eingeschränkter Bewegungsfreiheit und einem ziemlich spaßbefreiten Athletendorf.

Wie ist die Corona-Lage in Tokio?

Knapp zwei Wochen vor der Eröffnungsfeier verhängte Japans Regierung zum vierten Mal den Corona-Notstand, der auch für die Olympia-Zeit gilt. Grund waren über Wochen steigende Infektionszahlen. Auch wenn die Inzidenzwerte im europäischen Maßstab weiter vergleichsweise niedrig sind, bereitet die immer noch geringe Impfquote vielen Japanern Sorgen. Daher kommt für viele Menschen im Gastgeber-Land Olympia zur Unzeit. Dass knapp 60.000 Beteiligte aus dem Ausland gerade jetzt einreisen dürfen, wirkt für die Gegner der Spiele wie ein unnötiges Risiko. Die Angst vor einem Superspreader-Event und einem Fest für Corona-Mutanten überschattet den Olympia-Start.

Welche Regeln gelten bei der Einreise?
Jeder Olympia-Teilnehmer, egal ob Athlet, Funktionär oder Journalist, muss sich kurz vor dem Trip nach Japan zwei Corona-Tests unterziehen. Das negative Testergebnis muss auf einem ärztlichen Standardformular für japanische Behörden bestätigt werden. In einem vorab erstellten Aktivitätsplan müssen die Aufenthaltsorte in der Olympia-Blase in den ersten zwei Wochen angegeben und von den japanischen Behörden genehmigt werden. In einer Gesundheits-App werden persönliche Daten wie die Körpertemperatur erfasst. Zudem muss die japanische Corona-Warnapp aktiviert werden, um die Kontaktnachverfolgung zu erleichtern.

Wie wirkt sich eine Impfung auf die Corona-Regeln aus?

Rund 85 Prozent der Bewohner des olympischen Dorfes werden nach Angaben des Internationalen Olympischen Komitees geimpft in Japan ankommen. Auch die meisten Begleiter und Medienvertreter haben vor ihrer Olympia-Reise schon ein Vakzin erhalten. Einen Unterschied soll das jedoch beim Aufenthalt in Japan nicht machen. Für die ersten 14 Tage ist für jeden Olympia-Beteiligten die Bewegungsfreiheit auf Wettkampfstätten, Unterkünfte und offizielle Orte mit Olympia-Bezug beschränkt. Da auch eine Impfung keinen 100-prozentigen Schutz vor einer Infektion oder einer Weiterverbreitung des Coronavirus bietet, wollen die Organisatoren das Restrisiko so gering wie möglich halten.

Was bedeuten die Corona-Maßnahmen für das Training in Japan?

Aus Sorge vor dem Virus haben eine Reihe von Gemeinden, die als Trainingslager vorgesehen waren, ihre Zusage zurückgezogen. Zu den Quartieren, die weiter Teams beherbergen, reisen die Sportler in extra bereitgestellten Fahrzeugen, teils in Begleitung japanischer Offizieller. In den Trainingslagern wird in enger Frequenz auf Corona getestet, es gelten strenge Abstands- und Hygieneregeln sowie die Pflicht zum Tragen von Alltagsmasken.

Wie sind die Bedingungen im Olympischen Dorf?

Rund 18.000 Athleten und Offizielle werden in 21 Gebäuden innerhalb des 44 Hektar großen Olympischen Dorfes in der Bucht von Tokio wohnen. Das Athletendorf ist für gewöhnlich das Herz der Spiele, Partyzone und Begegnungsstätte für Sportlerinnen und Sportler aller Länder. In Tokio ist alles anders. Alles auf Abstand, mindestens zwei Meter, auch beim Essen. Die Organisatoren mahnen, Kontakte zu minimieren, Umarmungen und das Händeschütteln zu vermeiden, sich nur möglichst kurz in der Mensa aufzuhalten. In öffentlichen Bereichen ist der Alkoholkonsum untersagt. Außerhalb des eigenen Zimmers herrscht Maskenpflicht. Erst wenige Tage vor ihrem ersten Wettkampf dürfen die Athleten ins Dorf einziehen, spätestens zwei Tage nach ihrem letzten Einsatz sollen sie wieder abreisen.

Welche Regeln gelten in den Arenen?

In Tokios Wettkampfstätten sind alle Zuschauer ausgeschlossen. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zur Fahrt in die Arenen ist für alle Angereisten aus dem Ausland in den ersten zwei Wochen verboten. In den Stadien und Hallen muss Maske getragen werden, dies gilt auch für die Athleten bei Siegerehrungen. Markierungen auf dem Boden sollen das Einhalten der Abstandsregeln erleichtern. Beim Aufwärmen und im Wettkampf dürfen Athleten ihre Maske abnehmen. Handtücher sollen nicht geteilt werden, regelmäßig wird desinfiziert. Für jede Sportart gilt zusätzlich ein eigenes Corona-Regelkorsett, das die jeweils eigenen Bedingungen berücksichtigt.

Was passiert bei einem Corona-Fall?

Liegt bei einem Olympia-Beteiligten ein positiver Test vor, wird zunächst ein weiterer Test zur Kontrolle veranlasst. Bestätigt dieser das Ergebnis, muss sich der Betroffene in eine eigens eingerichtete Isolierstation begeben. Dann entscheiden die Behörden, wie lange die Quarantäne dauert. Athleten werden in diesem Fall nicht automatisch disqualifiziert, sondern tauchen als "ist nicht gestartet" in der Wertung auf.