PANDEMIE-ERWARTUNGSMANAGEMENT:
Spahn selbst hatte spätere Kritik geahnt. Im April 2020 sagte er, «dass wir miteinander wahrscheinlich viel werden verzeihen müssen in ein paar Monaten». Noch nie in der Nachkriegsgeschichte hätten in so kurzer Zeit trotz vieler Unwägbarkeiten so tiefgreifende Entscheidungen getroffen werden müssen. Als dann immer profilierterer Krisenmanager erschien er dann. Als die Suche nach einem Kanzlerkandidaten bei der CDU vergangenes Jahr noch offener war als heute, wurde vereinzelt auch Spahn Name genannt. Im Moment scheint eher die Kritik an ihm vorzuherrschen. Absetzbewegungen von ihm innerhalb der Union sind kaum bekannt. Laut einer Umfrage sind aber 56 Prozent der Bevölkerung mit Spahn nun «eher unzufrieden», 28 Prozent «eher zufrieden», so das Insa-Institut für die «Bild am Sonntag».
Unmut erzeugte vor allem das Tempo der Impfkampagne. Dieses entspricht allerdings früheren Ankündigungen von Spahn. 4,7 Prozent der Bevölkerung haben inzwischen eine Erstimpfung erhalten. Im Sommer - so hatte Spahn angekündigt - könnten alle Menschen ein Impfangebot haben. Merkel präzisierte später, dies solle bis zum Ende des Sommers geschehen. Laut den jüngsten Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung könnte Impfvollschutz für alle schon am 1. August gelingen. Für die Impfstoffbeschaffung in Deutschland ist vor allem die EU-Kommission zuständig. Für die Impforganisation sind es die Bundesländer.
Drei Wochen vor dem Impfstart sagte Spahn Anfang Dezember: Er sei zuversichtlich, dass das Coronavirus im Herbst in Deutschland unter Kontrolle sei. Merkel sagte damals, es bestehe Hoffnung auf Impfstoffe: «Dann können wir Schritt für Schritt das Virus besiegen.» Seither sind die Virus-Mutationen neu dazugekommen - von einem vollständigen Sieg über Corona in absehbarer Zeit spricht niemand mehr. Kontrolle im Herbst ist hingegen auch laut dem Berliner Virologen Christian Drosten möglich. Sogar schon zum Sommer könne es je nach weiterem Impfverlauf immer mehr Immunschutz in der Bevölkerung geben, sagte er am Dienstag. Die Corona-Einschränkungen bräuchten dann immer weniger einschneidend sein. Oder das ziehe sich «in den Herbst».