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Was bringen die parlamentarischen Corona-«Leitplanken»?

19:21
17.11.2020
In Krisenzeiten geht Gesetzgebung manchmal besonders schnell - bei der Euro-Rettung oder jetzt wieder in einer brenzligen Phase der Corona-Pandemie. An diesem Mittwoch soll das «Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite» besiegelt werden. Hinter dem sperrigen Titel verbergen sich praktische Regelungen etwa zu Verdienstausfällen für Eltern oder Urlaubsrückkehrer. Aber auch Änderungen im Infektionsschutzgesetz. Die sollen massive Alltagsbeschränkungen für Millionen Bürger und Firmen auf eine genauere, festere Rechtsgrundlage stellen - und zwar so, wie sie das Parlament absteckt. Es gibt aber scharfe Proteste.

Was passiert am Mittwoch genau?

Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident - diese drei Verfassungsorgane sind beteiligt, um das Gesetz in Kraft zu setzen. Zunächst wird das Parlament ab 12.00 Uhr den Entwurf in zweiter und dritter Lesung beraten und voraussichtlich verabschieden. Um 15.00 Uhr folgt eine Sondersitzung der Länderkammer, die ebenfalls zustimmen muss. Dann muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz ausfertigen. Das könnte noch am Mittwoch passieren. Im Präsidialamt wird betont, das geschehe so zügig wie möglich - aber mit der nötigen Sorgfalt.

Ist dieses Verfahren ungewöhnlich?

Normalerweise braucht ein Gesetz auf dem Weg durch die Instanzen viel länger. Dass der Bundesrat extra außer der Reihe zusammentritt, passiert höchst selten. Und es dauert sonst auch länger, bis ein Gesetz vom Staatsoberhaupt unterzeichnet wird. Allerdings wurde in diesem Jahr schon einmal ein ähnlich hohes Tempo angeschlagen: Im März gingen die milliardenschweren Corona-Hilfspakete an einem Tag durch den Bundestag - mit erster, zweiter, dritter Lesung und Ausschussberatungen. Zwei Tage später passierte es den Bundesrat und stand am Abend im Bundesgesetzblatt. Jetzt gab es Anfang November eine erste Lesung im Parlament und auch noch eine Expertenanhörung.

Warum wird das Infektionsschutzgesetz überhaupt geändert?

Dass Kanzlerin und Ministerpräsidenten in der Corona-Krise regelmäßig festzurren, welche Vorgaben und Beschränkungen kommen sollen, sorgt zusehends für Kritik. Sollen Regierungen über Monate hinweg per Verordnung tiefe Grundrechtseingriffe vornehmen? Bisher stützen sich die Länder auf generelle Klauseln des Bundesinfektionsschutzgesetzes, das eine solche Pandemie nicht vorhersah. Nun sollen genauere und präzisere Vorgaben in einem neuen Paragrafen 28a eingefügt werden. Der listet die bekannten möglichen Maßnahmen - von Maskenpflicht über Kontaktbeschränkungen bis zu Ladenschließungen - einzeln auf und schafft dafür eine Gesetzesbasis.

Welche Rahmen-Vorgaben sollen künftig gelten?

Das Gesetz soll «Leitplanken» für Maßnahmen der zuständigen Länder schaffen, wie SPD-Rechtsexperte Johannes Fechner erläutert. Das soll größere Rechtssicherheit und auch mehr bundesweite Einheitlichkeit bringen. Konkret soll für Verordnungen unter anderem eine Pflicht zur öffentlichen Begründung kommen. Und eine Pflicht, sie grundsätzlich auf vier Wochen zu befristen. Die Dauer soll aber zu verlängern sein. Bei religiösen Zusammenkünften und Demonstrationen - die besonderen Grundrechtsschutz genießen - sollen Maßnahmen nur zulässig sein, «soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen» die Corona-Eindämmung «erheblich gefährdet wäre».

Welche praktischen Krisenmaßnahmen bringt das Gesetz?

Vorgesehen sind unter anderem neue Regeln bei Verdienstausfällen. So sollen Entschädigungsansprüche für Eltern bis März 2021 verlängert und erweitert werden, die wegen einer Kinder-Betreuung nicht arbeiten können. Wer eine «vermeidbare Reise» in ausländische Risikogebiete macht, soll dagegen für eine nach Rückkehr nötige Quarantäne keine Entschädigung für Verdienstausfall bekommen. Der Bund soll regeln können, dass auch Nichtversicherte Anspruch auf Schutzimpfungen und Tests haben. Bei Bedarf sollen Kapazitäten tiermedizinischer Labore für die Auswertung von Corona-Tests genutzt werden können. Kiniken, die Operationen aussetzen, sollen finaziellen Ausgleich bekommen.

Ist massive Kritik - Stichwort: «Ermächtigungsgesetz» - haltbar?

Nein. Mit dieser Bezeichnung verbindet man das Gesetz, mit dem sich das deutsche Parlament als demokratische Institution im März 1933 selbst abgeschafft hat. Die NS-Regierung erhielt durch das «Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich» das Recht, ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat sowie ohne Gegenzeichnung durch den Reichspräsidenten Gesetze zu erlassen. Die Gewaltenteilung, Grundlage jedes Rechtsstaats, war komplett aufgehoben. Von einem dauerhaften Außerkraftsetzen grundlegender demokratischer Prinzipien kann heute keine Rede sein - auch wenn die Regierung in der Corona-Krise weitgehendere Kompetenzen erhalten hat, Verordnungen zu erlassen.

Was sagt die Opposition im Parlament dazu?

Auch die FDP, die die Pläne stark kritisiert, weist das Schlagwort «Ermächtigungsgesetz» entschieden zurück. «Ja, wir erleben eine massive Beschränkung von Grundrechten», sagte Vize-Fraktionschef Stephan Thomae. «Aber wir erleben keinen inneren Notstand. Es ist keine Diktatur. Es ist nicht so, dass die Demokratie abgeschafft wäre. Die Verfassung gilt, die Gewaltenteilung funktioniert, die Justiz arbeitet.» Die AfD fordert eine «Ständige Epidemiekommission», die Kriterien zum Feststellen einer nationalen epidemischen Lage erarbeiten soll. Dieter Janecek (Grüne) bemängelte, die Regelungen blieben «so rechtlich unbestimmt und ungenau wie die bisherige Rechtslage». Die Linke kritisierte Inhalt und den knappen zeitlichen Rahmen des ganzen Verfahrens.

Welche Kritik kommt von Juristen?

Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss hatten Juristen im ersten Entwurf den Paragrafen 28a ziemlich zerpflückt. Dieser «genügt den Vorgaben von Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz nicht», schrieb zum Beispiel die Juristin Andrea Kießling von der Ruhr Universität Bochum in ihrer Stellungnahme. Union und SPD besserten dann kurzfristig nach. Aber noch immer hält Kießling manche Bestimmung für zu unbestimmt oder für verfassungswidrig.

Welche Proteste gibt es?

In sozialen Netzwerken kursieren seit Tagen in Kreisen von Gegnern der Corona-Maßnahmen Erzählungen von einem «Ermächtigungsgesetz» - verbunden mit dem Aufruf, am Mittwoch am Bundestag zu demonstrieren. Angemeldet waren mehrere Versammlungen von Gegnern der Maßnahmen und Gegendemonstrationen. Das zuständige Bundesinnenministerium lehnte die Anträge jedoch ab. Begründung: Nach dem Gesetz über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane könnten solche Versammlungen nur zugelassen werden, wenn eine Beeinträchtigung der Arbeit von Bundestag und Bundesrat sowie eine Behinderung des freien Zugangs zu deren Gebäuden nicht nicht zu befürchten sei. «Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.»

Gibt es noch andere Formen des Protestes?

Ja. Abgeordnete erhielten teils Tausende Kritik-Mails mit überwiegend gleichen Textpassagen. Bei einer Online-Petition gegen die Pläne kamen bis Dienstagnachmittag mehr als 200 000 Unterstützer zusammen. Weit mehr als ein Drittel davon waren aber Einträge, bei denen noch nicht einmal der Name der Person nachvollziehbar war.

(dpa)

Über 2100 Corona-Neuinfektionen in Baden-Württemberg - 36 weitere Tote

17:53
17.11.2020
In Baden-Württemberg sind innerhalb eines Tages nach Angaben aus dem Landesgesundheitsamt 2135 neue Corona-Infektionen registriert worden. Damit ist die Zahl der nachweislich mit dem Erreger Sars-CoV-2 angesteckten Personen auf mehr als 120 800 gestiegen, wie die Behörde am Dienstag (Stand 16.00 Uhr) mitteilte. Am Montag gab es gut 1700 Neuinfektionen, am Dienstag vor einer Woche waren es gut 2400 gewesen. Im Zusammenhang mit dem Virus starben bisher landesweit 2332 Menschen - das waren 36 mehr als am Vortag. Als genesen gelten den Angaben zufolge 76 246 Menschen.

Landesweit ist der Wert für Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen mit 131,6 leicht gesunken. Alle 44 Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg liegen weiter über dem Grenzwert von 50, ab dem ein Kreis als Risikogebiet gilt.

405 schwer Covid-19-Erkrankte befanden sich zuletzt in intensivmedizinischer Behandlung, 221 von ihnen wurden den Angaben zufolge invasiv beatmet - etwa über einen Schlauch.

(dpa/lsw)

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