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Schausteller im Corona-Schock - «Kultur steht auf dem Spiel»

07:09
05.06.2020
Kein Frühlingsfest, keine Jahrmärkte und kein Mandelduft auf der Kirmes: Volksfeste sind wegen der Corona-Krise abgesagt. Die Stimmung bei Schaustellern wie Willy Krusig ist düster, er fürchtet um seine Existenz. Hoffnung macht ihm noch eine letzte Idee.

Beim «Alten Kuckuck» ist es schon lange kurz nach 12. Die Zeiger der großen Uhr auf der Fassade des gleichnamigen Jahrmarkt-Ausschanks sind bestimmt schon vor einer ganzen Zeit stehengeblieben. Statt auf dem Michelstädter Bienenmarkt zu glänzen, verstaubt der «Kuckuck» in diesen Tagen am Stadtrand von Karlsruhe zwischen den blassen Märchenhütten für den Christkindlesmarkt und den Holzbuden, die jetzt auf irgendeinem Messplatz stehen müssten und nicht hier zwischen Brachland, Parkplatz und Discounter.

Aber Schausteller Willy Krusig hat «das ganze Jahr Berufsverbot», wie er es nennt. Seine drei Schaustellersöhne und er, normalerweise Stammgäste auf den Kirmesplätzen des Landes, müssen warten. Seit Monaten schon. Im schlimmsten Fall so lange, bis sie aufgeben müssen.

Was den Krusigs droht, das fürchten viele der 5000 gemeldeten Familien im Deutschen Schaustellerbund (DSB). «Und wenn es diese Betriebe nicht mehr gibt, dann wird es auch keine Volksfeste mehr geben», warnt Krusig. «Da steht jetzt eine 1200-jährige Kultur steht auf dem Spiel.»

Ohne Corona könnte seine Familie im Moment jedes Wochenende drei bis vier Veranstaltungen bedienen, rechnet der wuchtige Karlsruher vor. Aber der Autoscooter, der Sky-Jumper und die Toilettenhäuschen, das Karussell und auch der «Kuckuck» bleiben auf dem Areal der früheren Gärtnerei, auf dem Krusig das Sortiment verstaut und wo er wohnt.

In der dritten Generation führt der 64-Jährige sein Geschäft als «Spezialist für Veranstaltungen», wie ihn seine Visitenkarte ausweist. Nur dass es wegen Corona bereits seit März keine Veranstaltungen mehr gibt. Die Absagen des Oktoberfests und des Cannstatter Volksfests seien so etwas gewesen wie Freikarten für die Kommunen, um weitere Feste ohne Schulterzucken abzusagen. «Wir haben ihnen gesagt, sie sollen langsam machen, nicht zu früh entscheiden. Aber zwecklos. Jetzt haben wir sogar Angst vor dem kommenden Jahr und weiteren Absagen», sagt Krusig.

Schausteller darben eigentlich immer. Die Branche ist vom Wetter abhängig und von der Wirtschaftskraft; sie muss pausenlos investieren und hat kaum eine Gelegenheit, um Geld zurückzulegen. «Wir zahlen jedes Jahr allein 30 000 Euro fürs Holz» sagt Krusigs Sohn Kevin. Und es werde lange dauern, bis Investitionen unter diesen Umständen abbezahlt seien.

Seine Familie hat bereits alles beantragt, was geht. «Aber die Soforthilfe hat noch nicht mal die Personalkosten für einen Monat abgedeckt», sagt Familienoberhaupt Willy Krusig. Auch die nun beschlossenen «Überbrückungshilfen» seien «eine Farce». «Mich kostet ein ausgefallener Monat 30 000 Euro. Da komme ich mit so einer Hilfe nicht weit.»

Bis zum 31. August gilt das Verbot für größere Veranstaltungen. Mindestens. Wie es danach weitergeht? Da schweigt Krusig. Susanne Filder sitzt an seiner Seite, sie besitzt einen Waffelstand und vertritt im Schaustellerverband Karlsruhe rund 100 Mitglieder. Noch. «Denn wenn jetzt nicht sehr schnell etwas von der Politik kommt, fahren 80 Prozent vor die Wand.»

Filder und Krusig können vor allem nicht verstehen, warum die Fußball-Bundesliga und die Freizeitparks weitermachen dürfen. «Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Europa-Park in Rust und dem Frühlingsfest», ärgert sich Filder. «Wir könnten an Auflagen alles das erfüllen, was die auch tun.»

Gesagt, getan. Auf seinem Areal hat Krusig mit weitem Abstand eine Auswahl an Buden aufgestellt, getrennt auf einem Platz. Wie ein Western-Fort sieht das aus, was die Berufsgenossenschaft sich am 12. Juni anschauen will. Geht alles gut, wollen Krusig und seine Söhne einen privaten Jahrmarkt eröffnen. «Die möglichen Umsätze werden zwar nicht die Kosten abdecken, aber für uns und auch für die Branche wäre ein solches Zeichen wichtig.»

Es ist nicht der einzige Versuch, Schaustellern trotz des Verbots eine Chance zu geben. In Düsseldorf sollen nach der Absage der Rheinkirmes Fahrgeschäfte, Imbisse und Süßwarenbuden auf dem Messegelände aufgebaut werden. Und auch in Dortmund und vielen anderen Städten könnte es nach den Vorstellungen von Schaustellern temporäre Freizeitparks mit Fahrgeschäften geben. In München werden die Fahrgeschäfte und Buden derzeit über die gesamte Innenstadt verteilt, damit Schausteller die Möglichkeit haben, doch noch Einnahmen zu erzielen.

Für DSB-Präsident Albert Ritter sind solche Alternativkonzepte allenfalls Notlösungen: «Für die Schausteller und ihre Familien geht es um ihre Existenz, da muss man natürlich aus der Not heraus handeln», sagt Ritter. «Dieses Wir-Gefühl eines großen Volksfestes oder einer kleinen Familienkirmes kriegen Sie durch eine Aneinanderreihung von Fahrgeschäften und Buden nicht erzeugt.»

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(dpa/lsw)

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