Offenbar haben wir jetzt die Kontrolle über unser Leben verloren. Fast zwei Jahre haben wir es geschafft, diese Situation mit allen Mitteln zu verhindern, doch unlängst war es dann soweit: Draußen regnete es an diesem Tag in Strömen, es war extrem windig. Die Kinder und auch unser Hund wollten weder Fuß noch Pfote vor die Tür setzen, und wir mussten arbeiten. Da blickten wir auf die Jogginghose – und griffen zu! Dabei hatten wir uns vor 23 Monaten, als wir erstmals ins Homeoffice wechselten, fest vorgenommen, unsere morgendlichen Gewohnheiten beizubehalten: Aufstehen, zumindest halbwegs schick anziehen und auf den Weg ins „Büro“ machen. Freilich: Der Weg dorthin fällt seit Corona oft sehr kurz aus – sind es doch im Homeoffice nur wenige Meter bis zum Schreibtisch. Doch obenrum in schicker Bluse und als Beinkleid eine schlabberige Jogginghose? Niemals! Dachten wir zumindest bis jetzt. Selbst als der Ehemann (der mit dieser Berichterstattung übrigens ausdrücklich einverstanden ist) während der Pandemie ein oder zwei Mal zur Jogginghose griff, blieben wir standhaft. Doch jetzt, nachdem auch wir schwach geworden sind, geben wir zu, dass wir ein wirklich schlechtes Gewissen haben. Und froh darüber sind, dass die Kamera der Videokonferenz an diesem Tag nur den Teil von uns abbildet, der oberhalb des Schreibtischs zu sehen ist. Unserer Schwiegermutter dürfen wir von dieser Tat aber nicht berichten. Denn sie hatte unseren Ehemann damals scharf gerügt, als sie ihn in der Jogginghose erblickte – zunächst aber nichts dazu gesagt. Erst als sie wieder daheim war, schickte sie ihm eine Nachricht und merkte nüchtern an, dass ihr Sohn ausgesehen habe, als trage er einen Schlafanzug. Der verdutzte Jogginghosen-Träger versuchte noch, die Situation zu retten. Betonte beispielsweise ausdrücklich, dass es sich bei dem Beinkleid um eine echte Rarität handle – nämlich aus seiner Zeit als erfolgreicher Fußballer (und das ist wirklich sehr, sehr lange her). Doch die Schwiegermutter akzeptierte keines seiner Argumente – und schickte zum Abschluss der schriftlichen Konversation nur noch einen einzigen Satz, der sich genau mit dieser Thematik beschäftigt – ein Zitat des inzwischen verstorbenen Modezaren Karl Lagerfeld. Dieser sagte nämlich einst: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Mutter und Sohn verstehen sich übrigens auch nach dem Abschicken dieses Zitats weiterhin prächtig wie eh und je. Doch ob als Arbeitskleidung angemessen oder nicht: Bequem sind sie schon, diese Dinger…
Eva Baumgartner