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Land legt 8,4 Milliarden Euro gegen Corona-Krise nach

14:46
23.06.2020
Mit einem zweiten Corona-Hilfspaket über 8,4
Milliarden Euro will die niedersächsische Landesregierung die Folgen
der Krise bewältigen. «Es handelt sich um das mit Abstand größte
Hilfsprogramm, das das Land jemals auf den Weg gebracht hat», sagte
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Dienstag in Hannover. Der
Landtag soll im Juli über den Nachschlag entscheiden. Bereits Ende
März war ein erster Nachtragshaushalt über 4,4 Milliarden Euro
einstimmig beschlossen worden. Zur Einordnung: Ursprünglich sollte
der Jahreshaushalt insgesamt 34,7 Milliarden Euro umfassen.

An markigen Worten sparte die Regierung bei der Vorstellung des
Nachschlags nicht. «Die Krise ist eine Jahrhundertaufgabe», sagte
Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU). Und Wirtschaftsminister Bernd
Althusmann (CDU) brachte das Ziel des Pakets in Anspielung auf das
Konjunkturprogramm des Bundes auf den Punkt: «Wenn Sie so wollen,
folgt dem Wumms des Bundes quasi jetzt der Rumms aus Niedersachsen.»

DAS HILFSPAKET: Fast die Hälfte der 8,4 Milliarden Euro wird
benötigt, um Steuerausfälle zu kompensieren. Die andere Hälfte wird
auf vier Säulen verteilt: Wirtschaft, Gesundheit, Kommunen sowie
gesellschaftliche Bereiche wie Sport und Kultur.

- Der Löwenanteil ist mit 1,9 Milliarden Euro für die Wirtschaft
angedacht. «Wir wollen Unternehmen retten. Wir wollen Arbeitsplätze
retten», sagte Weil. Wirtschaftsminister Althusmann ergänzte, es gehe
darum zu verhindern, dass aus Kurzarbeit Langzeitarbeitslosigkeit
werde. Allerdings solle der Standort Niedersachsen bei der
Gelegenheit auch modernisiert werden: «Wir wollen nicht wieder zurück
ins Jahr 2019.» Daher sind 150 Millionen Euro für den Breitbandausbau
und 100 Millionen Euro für die Förderung von Startups vorgesehen. Um
auch dem Klimaschutz gerecht zu werden, sollen 220 Millionen Euro in
die energetische Sanierung von Gebäuden fließen. Der Verband
Niedersachsenmetall lobte die Hilfen als pragmatisch und geeignet,
Investitionen und Innovationen in der Autozulieferindustrie zu
fördern, wie Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt sagte.

- Für die Kommunen sieht das Land einen 1,1 Milliarden Euro schweren
Rettungsschirm vor. «Wir sind uns sehr bewusst, wie wichtig gerade in
einer solchen Situation handlungsfähige Städte, Gemeinden und
Landkreise sind», sagte Weil. Knapp 600 Millionen Euro dienen dazu,
die Finanzausstattung der Kommunen für das kommende Jahr abzusichern.
Gut 400 Millionen Euro sollen Verluste bei der Gewerbesteuer
ausgleichen. Und 100 Millionen Euro gibt es für krisenbedingte
Maßnahmen etwa zur Digitalisierung von Schulen. Die kommunalen
Spitzenverbände reagierten erleichtert. Insbesondere der Ausgleich
der Gewerbesteuer sei überlebenswichtig, sagte der Präsident des
Niedersächsischen Städtetages, Ulrich Mädge.

- Für das Gesundheitssystem sind im Hilfspaket rund 600 Millionen
Euro eingepreist, etwa zur Unterstützung von Krankenhäusern. 200
Millionen Euro sind für den Kauf von Schutzausrüstung und die
Umsetzung von Hygienemaßnahmen vorgesehen. Aber auch das
Pflegepersonal soll profitieren: Das Land stockt den steuerfreien
Bonus des Bundes für Altenpfleger von 1000 auf 1500 Euro auf.

- Die vierte Säule des Programms umfasst 700 Millionen Euro, davon
etwa 47 Millionen zur Kompensation von Einnahmeausfällen der
Unikliniken. Freischaffende Künstler und Soloselbstständige im
Kulturbereich sollen mit zehn Millionen Euro gefördert
werden. Gemeinnützige Sportvereine sollen sieben Millionen Euro
bekommen, die Staatsbäder sechs Millionen Euro.

DIE FINANZIERUNG: Ohne neue Schulden sind diese Summen nicht zu
stemmen. Finanzminister Hilbers betonte allerdings, dass nicht alles
auf Pump finanziert werde, immerhin 600 Millionen Euro stammten aus
vorhandenen Mitteln. Dennoch entsteht ein Schuldenberg. Dieser soll
vom Jahr 2024 an binnen 25 Jahren abgebaut werden - dann, wenn die
Konjunktur laut Prognose wieder in Gang gekommen ist. Höhere Steuern,
um mehr Einnahmen zu generieren, lehnte Hilbers ab. Diese würden nur
dazu führen, dass die Menschen über ein geringeres Einkommen
verfügten und Kaufentscheidungen aufschöben.

DIE KRITIK: Den einen geht das Hilfspaket nicht weit genug, die
anderen warnen vor den langfristigen Folgen der Neuverschuldung.
Grünen-Fraktionschefin Julia Willie Hamburg monierte, die Regierung
stopfe vor allem Steuerlöcher. «Die Investitionsmittel sind
Strohfeuer, mehr nicht. Sie werden der Krise nicht gerecht», sagte
sie. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) erinnerte an seine Idee
eines Niedersachsen-Fonds, der angesichts von Minuszinsen günstig
Anleihen aufnehmen könnte, um weitere Milliarden zu investieren.

Der FDP-Finanzpolitiker Christian Grascha sagte hingegen: «Ein
riesiger Schuldenberg kann nicht die Antwort auf die Krise sein.»
Statt zuerst die Rücklagen des Landes aufzubrauchen, schöpfe die
Koalition aus SPD und CDU «ohne Rücksicht auf kommende Generationen
aus dem Vollen». Die AfD sprach von «exzessivem Schuldenmachen». Auch
der Bund der Steuerzahler bezeichnete die Verschuldung als überzogen.

Johannes Booken