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20190206140934

Vitamin D - Die Argumente

14:06
06.02.2019

Einführung: Professor Rüdiger Braun
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Pro:  Beatrix Schweiger
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Contra: Peter Flachenecker
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Die Patienten

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Nicole Rabus

Professor Rüdiger Braun

13:20
06.02.2019

Professor Rüdiger Braun, langjähriger Leiter des Esslinger Zentrallabors vom Labor Enders, ist Labormediziner und Experte für Vitamin D. Er klärt über das Pro-Hormon auf.

Vitamin D wird gern als „Wundermittel“ tituliert. Zu Recht?
Vitamin D ist - streng genommen – gar kein Vitamin, sondern ein Pro-Hormon, das im Körper gebildet wird. Und es ist sicher kein Wundermittel.

Aber viele schwören drauf. Wann ist eine Einnahme angebracht?
Vitamin D ist erst einmal lebensnotwendig. Außerdem wird es in der Regel heute Säuglingen substituiert, um einer Rachitis vorzubeugen. Bei Älteren hängt eine Osteoporose oft mit einem Vitamin D-Mangel zusammen – und selbst wenn Personen ab 60 Jahren häufig an der Sonne sind, können sie nur ein Viertel des Vitamin D bilden, wie Jüngere. Darüber hinaus meiden wir berechtigterweise eher die pralle Sonne und schützen uns mit Sonnencreme, die insbesondere UVB-Licht abhält, weshalb die Chancen geringer sind, Vitamin D zu synthetisieren. Auch daher kann es zu Defiziten kommen. In Studien wurde festgestellt, dass Vitamin D beim Knochenstoffwechsel eine wesentliche Rolle spielt. Auch Depressionen, Atemwegserkrankungen oder Immunschwächen und Autoimmunerkrankungen können mit einem Vitamin D-Mangel verknüpft sein…

…also kann eine Zufuhr durchaus etwas bringen…
…aber Personen mit einem normalen Vitamin D-Spiegel brauchen das nicht. Die Studien zeigen zum Beispiel, dass Atemwegserkrankungen bei einem ausreichenden Spiegel deutlich seltener auftreten als bei einem Mangel. Aber: Auch wenn die Dosierungsgrenze bei Vitamin D sehr weit ist, sind Überdosierungen nicht ausgeschlossen.

Ist es demnach sinnvoll, seinen Spiegel bestimmen zu lassen und dann bei einem Mangel Vitamin D zuzuführen?

Ja, aber immer unter ärztlicher Kontrolle. Bei älteren Menschen könnte ich mir vorstellen, dass man ab etwa 60 Jahren alle ein bis zwei Jahre den Spiegel bestimmen lässt.

Gerade auch Schwangeren wird Vitamin D empfohlen.
Werdende Mütter haben einen höheren Bedarf durch das Kind. Auch hier ist es natürlich sinnvoll, den Spiegel zu kontrollieren und im Normbereich zu halten.

Was bedeutet Normbereich?
Der Spiegel sollte zwischen 30 und 100 Nanogramm pro Liter liegen. Das gilt international für die kaukasische, also weiße, Bevölkerung. Bei Afrikanern oder Asiaten läuft der Vitamin D-Stoffwechsel anders ab.

Müssten Politik und Kassen nicht mehr Werbung machen, dass man seinen Spiegel testen lassen sollte?

Wir haben in Deutschland das Problem, dass die Prophylaxe von Erkrankungen nicht im Fokus von Kassen und Politik steht. Es gab Zeiten, da wurde Vitamin D bestimmten Nahrungsmitteln beigemischt. Das hat man aus ethischen Gründen aber verlassen. In anderen Ländern, zum Beispiel in den USA, wird das noch gemacht. Bei uns herrscht aber inzwischen eine große Skepsis. Das kann ich auch nachvollziehen, aber dennoch wäre es schön, wenn wir uns auf die prophylaktische Krankheitsvermeidung konzentrieren würden – und da würde natürlich auch die Bestimmung des Vitamin D-Spiegels helfen. Die Kassen werden aber entgegnen, dass es nur wenige Studien gibt, die eine Vermeidung von Infektionen mit Vitamin D in Verbindung bringen, und dass es auch Studien gebe, die zeigen, dass Vitamin D nichts bringe. Das Problem dieser Studien aber ist, dass Vitamin D oft unterdosiert war. Nur weil eine Studie veröffentlicht ist, heißt es noch lange nicht, dass sie auch gut gemacht ist. Sofern jedoch Mangelsymptome vorhanden sind, und der Vitamin D-Spiegel nicht stimmt, zahlt die Kasse Abklärung und Therapie.

Welche Tagesdosis ist empfehlenswert, welche ist gefährlich? Ein Gesprächspartner, der Anhänger von der Hochdosis-Therapie Coimbra-Protokoll ist, wünscht sich, dass 10.000 Einheiten pro Tag als völlig unbedenklich eingestuft werden sollten.
Für uns als Laborärzte ist der Spiegel im Blut der entscheidende Wert. Wenn man auf Dauer zu wenig Vitamin D im Körper hat, reguliert die Nebenschilddrüse dagegen an. Dabei erhöht sich der Spiegel des Parathormons, der PTH-Wert. Dann mobilisiert der Körper Calcium aus den Knochen, weil er zu wenig aus dem Darm bekommt. Und das führt dann zu Osteoporose. Manche Kollegen sagen sogar, dass nicht der Vitamin D-Spiegel sondern der PTH-Wert entscheidend sei, aber das teile ich nicht ganz. Denn das PTH reagiert erst spät. Allerdings kann der menschliche Körper innerhalb von Stunden bis zu 20.000 Einheiten Vitamin D produzieren. Wenn man also einmalig 10.000 I.E. zuführt, ist das im Bereich dessen, was der Mensch ohnehin kann. International liegt die Sicherheitsgrenze bei 4000 Einheiten pro Tag für Erwachsene, die der Mensch täglich ohne Probleme einnehmen kann. Das ist medizinischer Konsens. Kinder haben aber eine sehr viel höhere Vitamin D-Sensitivität, sie kommen daher viel schneller in den Bereich einer Überdosis.

Vitamin D ist verhältnismäßig günstig, es kann oft helfen, Überdosierungen werden nicht so schnell erreicht. Sollten Hausärzte mehr Vitamin D empfehlen?

Ich weiß nicht, ob Hausärzte dies zu wenig tun. In der Regel ist im Winter – wir müssen ja auch noch die Jahreszeiten unterscheiden – eine Tagesdosis zwischen 1000 und 2000 Einheiten ausreichend, um auch bei älteren Menschen einen vernünftigen Spiegel zu bekommen. Optimal wäre eine Einnahme mit fetthaltiger Nahrung, weil Vitamin D dann besser aufgenommen werden kann.

Kann man diese Einheiten auch in Sonnenstunden umrechnen?
Im Sommer können ohne Bekleidung und ohne Sonnenschutz ein Äquivalent von über 10.000 I.E. in einer Stunde synthetisiert werden. Unterhalb eines Einstrahlwinkels der Sonne von 45 Grad (Winter) wird wohl kein Vitamin D mehr gebildet.

Wird mit Vitamin D auch Scharlatanerie betrieben?
Das gibt es wohl eher weniger, auch weil die Präparate nicht so teuer sind. Man muss aber sagen: Vitamin D hat die Aufgabe, den Calcium-Spiegel im Blut zu kontrollieren und die Aufnahme von Calcium aus dem Darm zu erleichtern. Wenn man jetzt hochdosiert Vitamin D gibt, dann kann sich zu viel Calcium in den Gefäßen ablagern. Daher geben die Japaner zusätzlich Vitamin K2, wenn sie Älteren Vitamin D zur Osteoporose-Prophylaxe verabreichen. Diese Ergänzung ist sinnvoll. Vitamin K2 ist in Deutschland noch nicht so bekannt. Es sorgt dafür, dass das Calcium nicht in der Gefäßwand, sondern im Knochen eingebaut wird.

Was halten Sie von Hochdosis-Vitamin-D-Therapien bei Autoimmunkrankheiten (Coimbra-Protokoll) ?

Das wissen wir noch nicht so genau. Das Coimbra-Protokoll basiert ja unter anderem darauf, dass im Norden viel mehr MS-Erkrankungen auftreten als in der Äquatorialregion. Studien haben zudem ergeben, dass eineiige Zwillinge seltener ans MS erkrankt sind, je mehr Sonne sie abbekamen. Zudem korreliert die Anzahl der MS-Erkrankungen mit der Vitamin D-Gabe in der Schwangerschaft. Eine weitere Studie zeigt, dass die MS-Rate um fast 90 Prozent reduziert wird, wenn der Vitamin D-Spiegel in der Jugend hoch war, wobei zu viel Sonne wiederum den Hautkrebs fördern kann. Aufgrund dieser Studien kam die Idee des Coimbra-Protokolls auf. Ob eine Hochdosis-Therapie den gewünschten Erfolg bringt, kann ich nicht beurteilen. Einzelfallberichte zeigen das, sind oft aber auch sehr euphorisch. Ich frage mich, warum es hierzu keine konkrete Studie gibt. Die Gefahr bei sehr hohen Vitamin D-Dosen liegt unter anderem in Kalkablagerungen in der Niere mit dauerhaften Schäden. Da muss man aufpassen.


Nicole Rabus