Beta-Test oder „modernes Raubrittertum", Erde verbrannt oder Chance für neuen Anlauf? Der Streit zwischen ARD und ZDF mit ProSiebenSat.1 über das Vorpreschen der Münchner, die Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen in der Streaming-Plattform Joyn einzubetten, ist bei Future Video auf der Bühne. Der neue Medienstaatsvertrag wird diese Form der Kooperation grundsätzlich freigeben; er wird zum 1. Dezember in Kraft treten. Christine Strobl, Programmdirektorin der ARD und Dr. Florian Kumb, Direktor Audience des ZDF, machen im HoC deutlich, dass diese Form des Tests zu weit geführt hat – und auch der Tonfall im Umgang nicht gefallen hat.
Markus Breitenecker, Geschäftsführer ProSiebenSat.1 PULS 4 GmbH und zuständig für die Streaming-Plattform Joyn, entschuldigt sich für das Vorpreschen, macht aber auch deutlich, wie wichtig eine solche Kooperation aus wirtschaftlichen Gründen sei. Während die Öffentlich-Rechtlichen weiter stabile Rundfunkbeiträge beziehen würden, würden die kommerziellen Anbieter unter dem Erlössog der Big Giants leiden; rund 50 Prozent der Werbeumsätze seien dorthin abgezogen worden. Zwei Lösungen – Sparen oder Kooperationen?
Letzteres sieht Breitenecker als Lösung für den Stream, das Embedding unter Beibehaltung der Marken ARD und ZDF. Eine „Win-Win-Situation“ für den ProSiebenSat.1-Lenker. „Aber wir wollen gar nicht ohne Zustimmung zusammenarbeiten, wir wollen eine Zustimmung zum Embedding erreichen“, betont Breitenecker. Mehrmals macht er auf der #FuVi25-Bühne deutlich, dass sein Haus an einer langfristigen Zusammenarbeit mit den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen sehr interessiert sei.
So weit, so gut. Strobl macht aber deutlich, dass es zuvor eine Diskussion und ein Abkommen auf Augenhöhe geben müsse. „Wir reden gerne darüber, aber wir machen nicht einfach“, stellt die ARD-Programmchefin klar; sie zeigt sich bereit, mit Inkrafttreten des Reformstaatsvertrags den Embedding-Passus mit Leben zu füllen. Kumb ergänzt und verweist darauf, dass auch die öffentlich-rechtliche Seite in den vergangenen Jahren ohne größere Erhöhung des Rundfunkbeitrags in eine Sparsituation geraten sei.
Die zentrale Frage steht nun im Raum: „Wie nimmt man die Inhalte, denn wir haben ein anderes Verständnis in vielen Punkten“, so Christine Strobl, die die Zusammenarbeit mit Aggregatoren wie Magenta als Vorbild einer möglichen Zusammenarbeit ins Feld führt. Die ARD-Managerin verweist auf die Einstufung von Embedding nach Medienministerin Heike Raab, die auf die „Einstimmigkeit“ aller Parteien bei einer solchen Kooperation setzt. „Embedding ist nicht gleich Embedding, hier stehen Begrifflichkeiten im Raum“, betont Christine Strobl. Sie pocht weiterhin auf die geübte Hoheit bei der Distribution und akzeptiert nicht, „dass einer einen Schritt nach vorne macht und Porzellan zerdeppert“. Das Vorgehen von Joyn habe ein denkbares gemeinsames Projekt mit einem Federstrich kaputt gemacht. Ihr ist wichtig, dass mit „Vertrauen“ verhandelt wird.
Wie kann die Logik der öffentlich-rechtlichen Mediatheken im Joyn-Umfeld gesichert werden? ZDF-Vertreter Kumb will auch wissen, wo der Content stehen kann. Klar wird: Es gibt noch viel Gesprächsbedarf beim Kuratieren, bei Auffindbarkeit, bei Barrierefreiheit und weiteren Standards. „Auf diese Kuratierungsfragen wollen wir eingehen und diese Vorgaben erfüllen“, versichert Markus Breitenecker. Der dann aber doch die Frage aufwirft, wie diese Kuratierungswünsche mit so manchem YouTube-Auftritt von ARD und ZDF zusammenpassen würden …
War das ProSiebenSat.1-Vorgehen rechtens?
Prof. Dr. Mark Cole, Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Europäisches Medienrecht und Professor für Medien- und Telekommunikationsrecht an der Universität Luxemburg, verweist zwar auf die europäische Regelung zum Embedding, die dann national angewandt werden kann. Embedding im Kern bedeutet demnach: „Ich zeige auf, was woanders läuft“, so Cole. Laut EuGH darf generell eingebettet werden. Doch wenn der Einzubettende das nicht wolle, dann könne er das verhindern. Und ähnlich wie beim Bann der KI-Crawler auf Websites einen entsprechenden Hinweis hinterlassen. Kurzum: Die Rechtsfrage kann allgemein beantwortet werden, die Ausgestaltung ist Verhandlungssache.
Cole verdeutlicht weiter: Auch bei der Verbreitung der Inhalte sei es in Zukunft nach den Beschlüssen des Zukunftsrats wünschenswert, dass Öffentlich-Rechtliches über möglichst alle Plattformen zu sehen sei. Diese Vorschriften münden als Aufträge im anstehenden Reformstaatsvertrag; eine mögliche Auslegung sei nun das Embedding als Form der gewünschten stärkeren Zusammenarbeit der beiden Seiten im Dualen System auch im Bereich der Distribution von Inhalten. Einwand kommt vom ZDF-Manager – das Ob will er nicht abstreiten, doch das Wie brauche eine klare Ausgestaltung. Hier stimmt dann auch Markus Breitenecker zu. Wir werden sehen, ob und wie diese Ausgestaltung zwischen Joyn und den Mediatheken bis 1. Dezember hinbekommt ...
Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der BLM, bedauert, dass durch das Vorpreschen von Joyn bzw. ProSiebenSat.1 die eigentlich sehr zu begrüßende Zusammenarbeit zwischen privater und öffentlich-rechtlicher Seite ausgebremst worden sei. Die gesetzliche Regelung zum Embedding sei zwar nicht verpflichtend, aber auch nicht als „hanebüchen“ abzustempeln, appelliert der Münchner Medienhüter an die aufgewühlten Diskussionsteilnehmer:innen. Er sieht den Gesprächsfaden zwischen den Parteien allerdings nicht gerissen.
Ganz zum Schluss verrät Markus Breitenecker dann doch noch, wie es zu dem "Beta-Test" in Deutschland gekommen ist: Weil der öffentlich-rechtliche ORF bei Joyn Austria so erfolgreich eingebunden sei und alle Seiten profitieren würden, hätte man halt gedacht, dass es mit ARD und ZDF auch funktionieren könnte ...