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Afghanischer IS-Ableger unter Verdacht

13:38
24.03.2024
Nach dem Angriff auf eine Konzerthalle bei Moskau mit mehr als 130 Toten gehen Terrorexperten sowie die Bundesregierung davon aus, dass die Täter Islamisten des afghanischen Zweiges der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) sind. "Nach allem, was bisher bekannt ist, ist davon auszugehen, dass die Terrorgruppe Islamischer Staat Provinz Chorasan (ISPK) den mörderischen Terroranschlag in der Nähe von Moskau zu verantworten hat", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Wochenende. Die IS-Miliz bekannt sich zudem zu dem Angriff.
Der ISPK zählt viele Überläufer der in Afghanistan herrschenden Taliban zu seinen Mitgliedern und macht auch den radikalislamischen Machthabern in Kabul das Leben schwer. Die Gruppe hat mehrfach ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, auch außerhalb Afghanistans zuzuschlagen.

Anschlag am Kabuler Flughafen

Die Taliban hatten im August 2021 gerade erst die Macht in Kabul wieder übernommen, als der ISPK mit einem Angriff am Kabuler Flughafen zuschlug. Rund hundert Zivilisten und 13 US-Soldaten wurden damals bei einer Explosion getötet, zu der sich der ISPK bekannte. Es war der folgenschwerste Anschlag des IS in Afghanistan gegen die USA, die zu diesem Zeitpunkt dabei waren, sich aus der afghanischen Hauptstadt zurückzuziehen.

Washington setzte daraufhin eine Belohnung von zehn Millionen Dollar für Informationen über den ISPK-Chef Sanaullah Ghafari aus, auch als Schabab al-Muhadschir bekannt. Der 1994 geborene Ghafari sei "für die Genehmigung" aller ISPK-Operationen "in ganz Afghanistan und die Bereitstellung von Finanzmitteln für die Ausführung von Operationen" verantwortlich, erklärte das US-Außenministerium. Das Ministerium in Washington setzte Ghafari im November 2021 auf seine schwarze Liste ausländischer Terrorverdächtiger.
Enge Verbindungen ins Innere des IS und eine internationale Ausrichtung
Der afghanische IS-Zweig sei von Abgesandten der Dschihadistenmiliz aufgebaut worden, die aus dem Irak und Syrien kamen - anders als fast an allen anderen Orten, wo sich bereits bestehende Gruppen der Sache des IS verschrieben, analysiert Hans-Jakob Schindler, früherer UN-Terrorexperte und Direkor des Counter Extremism Project (CEP). "Sie haben sehr enge Verbindungen ins Zentrum, viel mehr als die anderen" angeschlossenen Gruppen. Das verschaffe ihnen Zugang zu reichlich Finanzmitteln, sagte Schindler der Nachrichtenagentur AFP.

Der ISPK habe sich als der "am stärksten international ausgerichtete IS-Zweig" erwiesen und produziere Propagandamaterialien in mehr Sprachen als "jeder andere Zweig seit dem Höhepunkt des Kalifats im Irak und Syrien", sagte Lucas Webber, Mitbegründer der Spezialisten-Website Militant Wire. Die Gruppe habe eine "ehrgeizige und aggressive Kampagne" geführt, um ihre "Fähigkeiten für externe Operationen zu stärken und ihre verschiedenen Feinde im Ausland anzugreifen".

Auf dem Radar der Sicherheitsdienste

Westliche wie russische Sicherheitsdienst beobachten den ISPK seit langem. Erst am vergangenen Dienstag erklärten deutsche Behörden, zwei afghanische mutmaßliche Dschihadisten in Thüringen festgenommen zu haben, die einen Angriff auf das schwedische Parlament geplant haben sollen. Einer der beiden Männer soll mutmaßlich aus Deutschland ausgereist sein, um sich dem ISKP anzuschließen.
In Schweden haben öffentliche Koranverbrennungen die Bedrohungslage ansteigen lassen. Aber auch in Deutschland bleibe die Gefahr durch islamistische Anschläge "akut", warnte Bundesinnenministerin Faeser. "Vom ISPK geht derzeit auch in Deutschland die größte islamistische Bedrohung aus", betonte sie. Auch die stark erhöhten Schutzmaßnahmen der Sicherheitsbehörden in Köln rund um Weihnachten und Silvester hätten dem Schutz vor möglichen Anschlagsgefahren durch den ISPK gegolten.
Im Jahr 2020 hatte Deutschland ein russisch-tadschikisches Netzwerk gesprengt, weitere Gruppen wurden 2022 und 2023 aufgelöst. Der IS ist auch in Tadschikistan aktiv, einer zentralasiatischen Nation, die im Süden an Afghanistan grenzt.
Russische Behörden gaben am 7. März bekannt, sie hätten mutmaßliche ISPK-Mitglieder bei einem Einsatz in der Region Kaluga südwestlich von Moskau getötet. Sie wurden demnach verdächtigt, einen Anschlag auf eine Synagoge in der Hauptstadt geplant zu haben. Nach Angaben aus Kasachstan wurden bei dem Einsatz zwei kasachische Staatsbürger getötet.

Russland als Angriffsziel

Russland sei zu einem vorrangigen Ziel des ISPK geworden, der die russische Invasion der Ukraine und die militärischen Interventionen des Landes in afrikanischen Ländern und Syrien ablehnt, sagte Webber. Schon 2022 wurde Russlands Botschaft in Afghanistan zum Ziel eines Selbstmord-Bombenanschlags.
Der ISPK arbeite daran, seine "Reichweite auf ganz Zentralasien und Russland auszudehnen" und baue ein russischsprachiges Medium auf, "um Unterstützung aufzubauen und Gewalt im Land zu schüren", fuhr Webber fort.

Angesichts der bei der Ukraine liegenden Aufmerksamkeit Moskaus sei Russland ein verlockendes Ziel, sagte Schindler. Der relativ günstige und einfach zu organisierende Angriff vom Freitag sei "ein großes Symbol", sagte Schindler.

"Es ist kaum zu überschätzen, wie wichtig der heutige Anschlag für den Islamischen Staat ist und was er über seine Entwicklung aussagt", schrieb Tore Hamming vom International Centre for the Study of Radicalization am Freitag im Onlinedienst X. Der IS hab seit 2019 daran gearbeitet, "wieder eine institutionelle Einheit zu schaffen, die für externe Operationen zuständig ist", zunächst in der Türkei und später in Afghanistan "mit Zentralasiaten als Schlüsselakteuren". Die Gruppe scheine damit erfolgreich zu sein, schrieb er weiter. Der ISPK habe nun "Afghanistan und Zentralasien als Plattform, um Russland/Asien zu treffen, und die Türkei als Einfallstor nach Europa", fügte Hamming hinzu.

AFP/shm

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