Wolodomyr ist ein super Typ, genau wie Anastasia und ihr Freund Dmytro, die mich in Krakau beherbergen. Sie sind Freunde von Freunden von Iryna. Anastasia, Dmytro und Wolodymyr vereint eine Erfahrung: Als am 24. Februar 2022 der offene Krieg in ihrer Heimat ausbrach, warf das auch ihren Lebensrhythmus in Krakau über den Haufen. "Ich habe kaum Erinnerungen an die ersten zwei Monate", sagt Wolodymyr. Zu intensiv sei das gewesen.
Damals habe sein Chef ihn mehr oder weniger von der Arbeit freigestellt, um Flüchtlingen helfen zu können. Beim Einkaufen für das Barbecue zeigt Wolodymyr mir spezielle Einkaufskörbe für geflüchtete Ukrainer, wo Einheimische Spenden ablegen können.
Anastasia erzählt, dass sie zum 1. März 2022 eine neue Stelle beginnen sollte, aber noch vor Dienstantritt von ihrem neuen Chef kontaktiert wurde, der Hilfe anbot. Ihre Schwester aus der Ukraine suchte bei ihr Schutz. Zeitweise lebten auch mehrere weitere Flüchtlinge in ihrem Apartment, zudem kümmerte sie sich um die Vermittlung von Wohnungen und half bei allerlei Behördengängen. In dem ukrainischen Café in der Altstadt brachte damals jeder Hilfsgüter vorbei.
Anastasias Familie ist Chaos und Leid gewöhnt, denn sie stammt aus Tschernobyl. Als ihre Mutter 18 war, kam es dort zur Reaktorkatastrophe, deren Ausmaß der Öffentlichkeit jedoch zunächst verschwiegen wurde. Anastasias Großmutter arbeitete für die sozialistische Partei, "sie war an jenem 26. April in Pripjat, wo sie für die Evakuierung von offiziellen Dokumenten zuständig war." Die Tochter war auf sich allein gestellt. "Meine Mutter wusste nicht, was passiert ist, aber ihr wurde gesagt: Pack deine Tasche und steig' in den Bus." Eine lange Odyssee folgte; sie suchte Schutz bei fernen Verwandten, erst nach drei Monaten sah sie ihre Mutter wieder. Die Familie baute sich eine neue Existenz in der Stadt Irpin in der Nähe von Kiew auf, wo Anastasia aufwuchs.
Irpin - bei dem Namen klingelt es sofort bei mir. Die Kleinstadt war beim russischen Sturm auf Kiew im März 2022 schwer umkämpft, genau wie das benachbarte Butscha. "Meine Mutter hat eine großartige Intuition, daher verließ sie Irpin einen Tag, bevor das kaum noch möglich war", erzählt Anastasia. In den kommenden Tagen kam es dort zu zahlreichen Menschenrechtsverbrechen. Menschen wurden gefoltert und vergewaltigt, mehr als 200 Zivilisten erschossen. Unfassbare Schrecken. Anastasias Mutter war derweil auf der Flucht. "Ich habe mich immer mit ihr ausgetauscht, sie musste sich jede halbe Stunde bei mir melden", erzählt die Tochter. Ein ihr fremder Mann habe sie im Auto zu einer Notunterkunft mitgenommen. Der Zusammenhalt der Ukrainer sei unglaublich gewesen. "Meine Mutter sagte: Das war der Moment, wo ich realisiert habe: Wir sind unbesiegbar."
Nach einiger Zeit konnte die Mutter nach Irpin zurückkehren. Auch der Vater, der während der furchtbaren ersten Tage in Kiew ausgeharrt hatte, kam nach Hause. Sie hatten großes Glück: "Entlang der Straße steht kein Haus mehr, doch das Haus meiner Eltern blieb weitgehend unversehrt," berichtet Anastasia.