„Da, das Café, da fahren wir hin!“
Es ist 16 Uhr, es regnet unaufhörlich und meine Kumpels Stefan, Angelo und ich müssen nicht lange überlegen, was wir machen, als wir im saarländische Mettlach ankommen.
Vor dem erstbesten Café stellen wir unsere Räder ab, und während uns die Bedienung Cappuccino und Kuchen serviert, bildet sich eine Wasserlache unter unseren Stühlen, wo wir die Regenjacken aufgehängt haben. Am Tisch nebenan sitzt ein Paar und fragt freundlich lächelnd, wo wir denn bei dem Sauwetter hinwollen.
Ich lächle freundlich zurück und sage: „Nach Kiew!“
Der Mann zögert, fragt nach – ja genau, Kiew, Ukraine. Sein verdutzter Gesichtsausdruck ist köstlich anzuschauen.
Achteinhalb Stunden zuvor, bei leisem Nieselregen, radle ich auf die Gëlle Fra zu. Mein alter Freund Angelo und meine neue Nachbarin Julia sind mit dabei; sie wollen mich beim Auftakt meiner Tour begleiten. Und das trotz wirklich mieser Wetterbedingungen; letztlich wird es fast den ganzen Tag durchregnen.
Doch Radfahrer sind zähe Menschen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben, dann ziehen sie es auch durch. Das sagt Außenminister Jean Asselborn, als er mit seinem weißen Rennrad vor der Gëlle Fra erscheint. Seine grellgelbe Jacke ist hinten verdreckt worden auf dem Weg von Steinfort. Doch obwohl es auf dem Rennrad noch viel weniger Spaß macht, durch den Regen zu fahren, ist er zum Auftakt meiner Tour gekommen. Ebenso liebe Kollegen, mein Chefredakteur Roland Arens, Nachbarn, Freunde – und zahlreiche in Luxemburg lebende Ukrainerinnen und Ukrainer.
Aus Gesprächen wusste ich, dass viele Ukrainer mein Vorhaben schätzen, in ihr Heimatland zu fahren und um Spenden zu werben. Doch zu sehen, wie mir Kinder und Erwachsene Mut zusprechen, wie sie Fotos mit mir machen wollen und mich umarmen, das berührt mich sehr. Ich habe die Ukraine bei meinem Besuch im Dezember ins Herz geschlossen und spüre, dass diese Verbindung enger wird.
Heilwasser statt Crémant
Optisch wird das sichtbar durch unsere blau-gelben Fahnen, die Angelo und ich uns kurzerhand um den Hals hängen. Als wir losziehen, lassen wir sie noch eine Weile im Wind flattern. Letztlich behalten wir sie bis Schengen an, was zu vielen positiven Reaktionen von Luxemburgern auf den Straßen führt.
Die Supporter von LUkraine haben sogar Crémant mit zur Gëlle Fra gebracht, sodass ich mich wie bei der letzten Etappe der Tour de France fühle. Dabei ist das hier erst der Auftakt – und weil am gleichen Tag auch die Tour beginnt, habe ich es Grand Départ genannt.
Dass Schengen ein Zwischenstopp sein muss, ist aufgrund der symbolischen Bedeutung klar. Von Hesperingen wollen wir eigentlich über Hassel dorthin gelangen, doch eine Großbaustelle mit Streckensperrung zwingt uns zum Improvisieren. So landen wir schließlich in Frisingen und Bad Mondorf, wo wir vom Heilwasser trinken – nicht ganz so gut wie der Crémant, aber gesünder.
In Schengen verlässt uns Nachbarin Julia, dafür kommt mein Kumpel Stefan dazu, mit dem ich vor genau zehn Jahren, im Juli 2013, nach Rom aufgebrochen war, zu unserer ersten großen Radtour. Aktuell hat Stefan nicht so viel Zeit, doch immerhin will er bis Montag an meiner Seite bleiben.
Der Weg quer durchs Saarland beginnt stramm: direkt in Perl geht es kilometerweit bergauf. Aus dem Moseltal kommend queren wir den Saargau, bis wir auf einer viel befahrenen, regennassen Straße runter zur Saar sausen; bei 56 km/h bremse ich ab, um nur ja nicht ins Schlingern zu geraten.
Sechs Wochen ohne Wout
Dann sind wir in Mettlach, von wo aus Angelo nach Hause fährt; ich hätte ihn gerne noch weiter mitgenommen, denn Angelo ist gut trainiert und hat mich zwischendurch, beim ersten Anstieg, gut gepusht. Daher nenne ich ihn jetzt Wout, woraufhin er lächelt; er versteht die Anspielung auf Wout van Aert, den Edelhelfer von Toursieger Jonas Vingegaard, ohne den es nix mit dem Toursieg geworden wäre.
Ich werde mich in den kommenden sechs Wochen ohne Helfer durchschlagen müssen, doch jetzt, wo ich unterwegs bin, macht mir das nichts aus. Kaum auf dem Rad bin ich im Tourmodus angekommen und bin trotz des Regens glücklich und ausgeglichen. Der Stress der letzten Wochen ist wie weggeblasen.
Weil wir nicht schon am ersten Tag im Regen unsere Zelte aufschlagen wollen, haben wir uns für heute eine Übernachtung via Warmshowers organisiert. Das ist das Couchsurfing für Radfahrer: man beherbergt selbst unentgeltlich Radreisende und wird von Gleichgesinnten auf der ganzen Welt eingeladen. Für heute ist das eine liebenswürdige Familie in Hausbach bei Losheim.
Der Vater, ein Schreiner, steht jeden Morgen um halb fünf auf und fährt rechtzeitig vor dem Stau eine Stunde nach Bettemburg zur Arbeit. Doch heute hat er frei und so sitzen wir bei Mettlacher Abteibräu zusammen. So kann man den Tag gut ausklingen lassen. In freudiger Erwartung, was noch alles auf mich zukommen wird, falle ich um neun Uhr ins Bett.