Heute morgen, nach dem Frühstück, packe ich meine Sachen und fahre hinüber zum Stammlager Auschwitz I. Doch hier gibt es Zugang nur mit einer mehrstündigen Führung, hier wimmelt es von Besuchern und Bussen. Ich verweile kurz, fahre dann aber weiter. Denn für mich unvergessen bleibt die einwöchige Auschwitz-Exkursion als Geschichtsstudent in Trier 2007. Keine heutige Führung könnte an diese Erfahrung heranreichen, denn wir wurden damals von Henryk Mandelbaum begleitet. Er wurde 1922 im polnischen Olkusz geboren. Die Familie war jüdisch, weshalb sie 1941 in ein Ghetto verbracht wurden. Im April 1944 kam er nach Auschwitz, wo er die schlimmste aller möglichen Tätigkeiten ausüben musste: Als kräftiger junger Mann wurde er dem berüchtigten "Sonderkommando" zugeteilt. Fortan musste er Dienst in den Gaskammern verrichten, musste die Leichen der Ermordeten herausschleifen, Goldzähne herausbrechen und die Opfer in den Krematorien verbrennen. Es war eine furchtbare Arbeit.
Die Gaskammern in Birkenau wurden gesprengt, die Trümmer sind für Besucher abgesperrt. Doch mit der Autorität des Überlebenden öffnete Mandelbaum kurzerhand die Kordel und führte uns mitten hinein in das Trümmerfeld. Zeigte uns, wo sich was befand. Gestikulierte, mit welchen abscheulichen Arbeitsschritten er über Monate hinweg die Todesfabrik der Nazis am Leben erhalten musste. Erzählte, wie unerträglich es war, wenn er die Leichen junger Frauen, mit denen er unter anderen Umständen hätte ausgehen oder tanzen können, verbrennen musste.
Es grenzt an ein Wunder, dass Mandelbaum diese Arbeit überlebt hat, denn die Sonderkommando-Mitglieder wurden regelmäßig liquidiert. Doch er konnte aus der Isolierbaracke ausbrechen und wurde gegen Kriegsende auf einen der vielen Todesmärsche geschickt. Dabei gelang ihm die Flucht.
Ich habe diese Schilderungen nie vergessen. Und es hat mich beeindruckt, dass Henryk Mandelbaum, der jedes Recht dazu gehabt hätte, nicht zum hasserfüllten, verbitterten Menschen wurde. Sondern zu einem Mahner, der sich eindrücklich dafür eingesetzt hat, dass dieses Unrecht nicht vergessen wird und wieder geschehen darf.
Ich werfe einen letzten Blick auf das Lager und während ich mich auf den Weg nach Krakau mache, denke ich an Nummer 181 970. Henryk Mandelbaum ist 2008 gestorben. Wir jungen Studentinnen und Studenten werden ihn nie vergessen.