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René Loschetter und Ricardo J. Rodrigues.

Tag 22: Das unbeschreibliche Gefühl, wieder nach Hause zu kommen

12:54
14.07.2023
Im Nu ist der letzte Tag gekommen. In 21 Tagen und fast 500 Kilometern zu Fuß – viel mehr als die ursprünglich geplanten 350 – hatte ich die großartige Gelegenheit, einige der außergewöhnlichsten Ecken und Charaktere dieses Landes kennenzulernen. Ich hatte mir vorgenommen, Luxemburg eine Liebeserklärung zu machen. Aber was ich am Ende bekam, war doppelt so viel Zuneigung. Es waren drei unglaubliche Wochen. Und jetzt sind es nur noch 13 Kilometer von Weiler-la-Tour in die Hauptstadt.

Ich wache auf und freue mich auf zu Hause. Ich glaube, ich habe die ganze Zeit gepfiffen, obwohl ich das nicht so gut kann. Außerdem ertappte ich mich dabei, wie ich Lieder von den Arctic Monkeys summe, dem Konzert, zu dem ich eigentlich gehen wollte, das ich aber verpasst habe, weil ich durch das Großherzogtum gelaufen bin.

Aber das alles war jetzt egal, weder die Schmerzen in den Beinen, noch die tagelange Hitze, noch die Stürze im Wald, noch die Regenschauer, die mich ausbremsten. Ich war überglücklich, als ich merkte, dass ich die Stadt erreicht hatte. Zu Hause! Ich bin nach Hause gekommen.

Niemand konnte mir dieses Gefühl der Rückkehr besser erklären als René Loschetter. Deshalb habe ich mich mit ihm getroffen, um die letzten Schritte von „Luxembourg on Foot" zu gehen. Er ist vor 94 Jahren in Luxemburg-Stadt geboren und aufgewachsen.

Der gelernte Elektroingenieur hat fast sein ganzes Leben lang ein Elektrogeschäft geführt. „Aber als das Schengener Abkommen unterzeichnet wurde und die Grenzen fielen, kamen billigere Produkte aus Deutschland und mein Geschäft machte keinen Sinn mehr. Ich hatte genügend Jahre mit Preisnachlässen hinter mir und mit 60 war ich in Rente. Aber ich war zu jung, um alt zu sein, also wurde ich Fremdenführer in der Hauptstadt."

Pops, wie ihn alle kennen, war nicht nur ein Reiseleiter. Er war 30 Jahre lang, von 1989 bis 2019, der Stadtführer von Luxemburg-Stadt. „Ich war sehr genervt von den Chinesen, die nur kamen, um bei Louis Vuitton einzukaufen. Ich erzählte ihnen von Vauban, der Festung und all diesen interessanten Dingen und sie hörten nicht zu. Dann habe ich mir irgendeinen Blödsinn ausgedacht. Ich erzählte ihnen, dass das Spuerkeess-Gebäude der großherzogliche Palast sei, oder wenn sie mich um Gruppenporträts baten, machte ich Bilder von ihren Füßen. Das war zu Zeiten der Analogtechnik, als man seine Fotos noch entwickeln musste“, lacht er.

Bei amerikanischen Touristen ist das anders: „Sie waren sehr beeindruckt, weil ich ein Foto besitze, das ich mit 14 Jahren bei der Beerdigung von General Patton gemacht habe. Sie baten mich, sie zu begleiten. Eines Tages kam sogar Pattons Enkelin, um mich zu treffen und das Foto zu sehen“, erzählt er.

Loschetter hat den Krieg intensiv miterlebt. „In den Nazi-Jahren war die Stadt still, ruhig. Wir durften keine französischen Namen haben, also wollten sie, dass ich Reinhart statt René heiße. Aber das gefiel meiner Mutter überhaupt nicht und so brachte sie mich dazu, Robert zu heißen. So ging das vier Jahre lang."

Seine Eltern leisteten Widerstand, indem sie französische und englische Soldaten, die aus deutschen Lagern flohen, halfen. Sie versteckten sie im Dachgeschoss des Hauses. „Wir wurden nie gefasst, aber 1943 wurden wir schließlich nach Schlesien deportiert, weil mein Bruder vor der Armee geflohen war. Er wollte nicht auf der Seite der Nazis kämpfen und wir haben ihn alle unterstützt."

Einen Tag, nachdem die Amerikaner die luxemburgische Hauptstadt befreit hatten, kehrten die Loschetters nach Hause zurück. „Das Gefühl der Rückkehr war wunderbar. Ich erinnere mich an das Glück, das ich empfand, als ich mein Zimmer betrat. Luxemburg-Stadt ist so außergewöhnlich, so vielfältig. Und wenn man es verlässt und dann wieder zurückkehrt, füllt sich die Brust mit einem Gefühl, das ich nicht ganz erklären kann. Aber Sie verstehen das, nicht wahr?“

Absolut, das verstehe ich jetzt nur allzu gut.

(Ricardo J. Rodrigues, übersetzt von Cinzia Silano)

Cinzia Silano