Letztes Update:
20210722085537

Kassenärzte fordern mehr Einsatz von Betrieben und Unis beim Impfen

07:40
22.07.2021
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat mehr Engagement von großen Unternehmen und Universitäten bei der Corona-Impfkampagne gefordert. «Große Arbeitgeber können noch stärker eingreifen, genau wie die Universitäten, wenn die Semester wieder losgehen», sagte Vize-Chef Stephan Hofmeister der Deutschen Presse-Agentur. «Das halten wir für geeigneter, als mit dem Impfbus abends vor der Disco zu stehen.» Derzeit zeichne sich in einigen Regionen eine Impfmüdigkeit ab, insbesondere in den Impfzentren gehe die Frequenz der Impfungen deutlich nach unten.

Kassenärzte-Chef Andreas Gassen erklärte, es gebe «eine relevante Zahl von Menschen, die sich schlicht nicht impfen lassen will».
Desinteressierte könne man «schon ein bisschen schubsen», etwa indem Bürgertests bald für alle kostenpflichtig würden, die sich theoretisch auch impfen lassen könnten. «Impfen ist der beste Individual-Schutz», betonte er.

In den Praxen besteht laut Gassen die Gefahr, dass Impfstoff weggeschmissen werden muss, weil er nur in größeren Fläschchen angeboten wird. Um ein Fläschchen voll zu nutzen, müssten in kurzer Zeit sechs Impfpatienten kommen. Das sei aber immer seltener der Fall. «Wichtig wäre, dass die Industrie diesen Impfstoff in Einzeldosen anbietet», sagte Gassen deshalb. «Sonst wird es zum Verfall von Impfdosen kommen.» Auch ein Teil der Impfdosen von Astrazeneca und Johnson & Johnson, die derzeit schwerer vermittelbar seien, müssten vielleicht entsorgt werden. «Damit wird man leben müssen.»

Auffrischungsimpfungen sind nach Auffassung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Herbst nur für Über-75-Jährige nötig und für chronisch Kranke mit Medikamenten, die das Immunsystem unterdrücken. «Gesunde 20- bis 60-Jährige dagegen sind dieses Jahr noch sicher», sagte Hofmeister. Gassen plädierte zudem für neue Kriterien zur Bewertung der Corona-Bedrohung. «Es muss zum Beispiel darum gehen, wer wie schwer erkrankt. Wenn wir nur auf die Inzidenz schauen, laufen wir am Ende ohne wissenschaftliche Begründung mal wieder in eine Lockdown-Situation», warnte er.

(dpa)

Zwischen Frust und Euphorie: Festspiel-Chefs testen, was geht

06:29
22.07.2021
Planen, absagen, Notlösungen finden - Benedikt Stampa, Intendant des Festspielhauses Baden-Baden, hat schon in normalen Zeiten einen herausfordernden Job. Unter Corona-Bedingungen ein Opernfestival zu organisieren, toppt aber alles: «Es geht nur mit sehr viel Flexibilität, Mut zur Lücke und Mut zum Improvisieren», sagt der Chef des mit 2500 Plätzen größten deutschen Opernhauses.

Was geht, was nicht? Das testen Festspielmacher überall. Trotz unterschiedlicher Konzepte eint die von Corona gebeutelten Intendanten die Hoffnung auf ein bisschen mehr Normalität im Herbst.

Dafür lässt Baden-Badens Intendant Stampa seinen Betrieb gerne unter die Lupe nehmen. Als Teil eines Modellprojekts von 18 Kultur- und Freizeiteinrichtungen in Baden-Württemberg testet das Festspielhaus die optimale Lenkung von Besucherströmen in Pandemiezeiten. Keine Abendkasse, kein Sekt im Foyer, dafür Zelte vor dem Opernhaus, zusätzliche Schalter, mehr Einlässe und eine frühere Saalöffnung.

Ob Salzburg, Bayreuth oder Baden-Baden: Rein dürfen nur Geimpfte, Getestete oder Genesene. Das Publikum nimmt es überwiegend gelassen. Nur die Maskenpflicht während der Aufführung stößt zuweilen auf Unverständnis. Im Festspielhaus Bayreuth gilt die auch, bei den Salzburger Festspielen wieder: Dort wurde einen Tag nach der maskenfreien Premiere des «Jedermann» ein geimpfter Besucher positiv auf Corona getestet.

Während man in Bayreuth und Baden-Baden nur vor halbleeren Rängen spielen darf, fahren die Österreicher volles Programm vor vollem Haus. Die Salzburger Festspiele gelten als Versuchslabor für die europäische Kulturszene: Während 2020 Festivals in Bayreuth, Aix-en-Provence oder Glyndebourne abgesagt wurden, hatten sie trotz Pandemie ein abgespecktes Programm auf die Bühne gestellt - mit weniger Publikum, Masken, personalisierten Karten, Vorstellungen ohne Pausen und regelmäßigen Künstler-Tests.

Für Bayreuths Intendantin Katharina Wagner war es die größte Herausforderung, «den Mut nicht zu verlieren und alles dafür zu tun, damit Festspiele in diesem Jahr wieder möglich sind». Das sieht Stampa ähnlich. Nach mehreren abgesagten Festspielen seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 startete sein Haus Anfang Juli im Rahmen des Modellversuchs. Kurz davor gab es eine bittere Absage: Das Mariinski-Theater aus St. Petersburg konnte nicht kommen, weil Russland zum Hochinzidenzgebiet wurde. Das Highlight «Tosca» fiel aus. «Das war schon deprimierend», sagt Stampa auch mit Blick auf fast leere Ränge. Statt 2500 Gästen durften anfangs nur 500 kommen.

Die Reaktion des Publikums hat ihn entschädigt: «Ich habe noch nie so viel positive Rückmeldungen erhalten wie beim Beethoven-Zyklus. Musiker wie Gäste waren total dankbar, dass wir den Mut hatten zur Aufführung.» Schon die Einreise für die Künstler vom Chamber Orchestra of Europe war ein Kraftakt. Er hat sich gelohnt. Der Applaus, schwärmt Stampa, war frenetisch, die Stimmung bombastisch, die «Ode an die Freude» ein euphorisches Ausrufezeichen. «Das war emotional eine der bedeutendsten Wochen meines Lebens.»

160 000 Besucher im Jahr zählt das Festspielhaus sonst. Seit Corona «90 Prozent weniger». Die Pandemie-Einbußen bei dem privat betriebenen Opernhaus mit einem Jahresetat von 25 Millionen Euro gehen in die Millionen. Trotz schneller Hilfen vom Land und sechs Millionen Euro von privater Seite - darunter 500 000 Euro Spenden durch Eintrittskarten - sagt Stampa: «Nochmal so ein Jahr kriegen wir nicht hin.»

Anderen dürfte es ähnlich gehen. Denn große Klassik-Festivals bestreiten nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins einen Großteil ihrer Einnahmen aus Ticketverkäufen. «Die fast vollständig ausgefallene Festspielsaison 2020 wird noch lange zu spüren sein», sagt der geschäftsführende Direktor Marc Grandmontagne. Es müsse mehr Spielraum für vernünftige Lösungen jenseits des Lockdowns geben. Er warnt: «Der Schaden für die Gesellschaft ist doch viel größer, wenn Theater und Konzerthäuser als öffentliche Orte in einer Stadt fehlen.»

Auch der Heidelberger Virologe Hans-Georg Kräusslich, der den Baden-Badener Modellversuch begleitet, plädiert angesichts immer mehr Geimpfter und bei guten Hygienekonzepten dafür, Kultur zu ermöglichen; je nach Corona-Zahlen «mit mehr oder weniger Restriktionen». Stampa will jedenfalls mutig in den Herbst gehen: «Absagen kann man immer noch.»

(dpa)

Möchten Sie alle externen Inhalte laden?
Datenschutzerklärung
Inhalt laden