EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni hat vor einer zu schnellen Drosselung der Wirtschaftshilfen in der Corona-Krise gewarnt. Zudem plädierte Gentiloni in einer Rede am Freitag mittelfristig für eine Lockerung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, also der Schulden- und Defizitregeln. Unter anderem brachte er ins Gespräch, die Aussetzung der Regeln im Krisenfall zu erleichtern und dafür die vielen Ausnahmen im Pakt abzuschaffen.
In der Corona-Krise wurden diese Regeln - höchstens drei Prozent Haushaltsdefizit und höchstens 60 Prozent Verschuldungsquote gemessen an der Wirtschaftsleistung - erstmals mit Hilfe einer Notfallklausel außer Kraft gesetzt. So konnten die EU-Staaten ihren Unternehmen mit Milliardenhilfen unter die Arme greifen.
Obwohl die Kommission ab dem zweiten Quartal wieder Wachstum erwartet, mahnte Gentiloni zu Vorsicht beim Zurückfahren dieser Hilfen. «Angesichts der sehr tiefen, ungleichmäßigen Rezession und großer Unsicherheit wäre es aus meiner Sicht klüger, lieber zu viel zu tun als zu wenig», erklärte der Kommissar laut Manuskript in der Rede vor dem Europäischen Fiskalausschuss. Fehler der Vergangenheit und ein starker Anstieg bei Firmenpleiten müssten vermieden werden.
Gentiloni kündigte für kommende Woche Kriterien an, nach denen sich die Kommission in der Debatte über eine Rücknahme der Notfallklausel im Stabilitätspakt richten will. Beschlossen ist bereits, dass sie bis Ende dieses Jahres weiter gilt.
Längerfristig müssten die Fiskalregeln zwar Ausgaben unter Kontrolle halten, aber auch nachhaltiges Wachstum unterstützen. «In diesem Zusammenhang ist aus meiner Sicht eine besondere Behandlung für Ausgaben nötig, die Wachstum verbessern», sagte Gentiloni. «Oder anders gesagt, unsere Fiskalregeln sollten so geändert werden, dass sich die Zusammensetzung öffentlicher Finanzen verbessert und sichergestellt wird, dass alle neuen Schulden gute Schulden sind.» Unter «guten Schulden» versteht Gentiloni Ausgaben für Forschung, Bildung, Infrastruktur oder Krankenhäuser.