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Kretschmann will als harter Corona-Krisenmanager Wahl gewinnen

15:07
13.12.2020
In Corona-Zeiten steht auch der Wahlkampf Kopf. Früher versprachen Regierende schon mal Geschenke und Bonbons, in der Pandemie geben sie den harten Hund. In Baden-Württemberg warnt Winfried Kretschmann seit Wochen, der Teil-Lockdown werde nicht reichen, um die zweite Corona-Welle zu brechen. Beim Landesparteitag am Samstag in Reutlingen präsentiert der 72-Jährige schon vorab die ultimative Zumutung: Der bundesweite Lockdown komme schon vor Weihnachten. Zu seiner Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl sagt er: «Es ist gerade nicht leicht, über die Wahl zu sprechen.» Er müsse sich auf den Kampf gegen das Coronavirus konzentrieren.

Harte Krisenmanager genießen Vertrauen

Doch sollte niemand den politischen Instinkt des einzigen grünen Regierungschefs in Deutschland unterschätzen. Die Landtagswahl im Südwesten am 14. März ist der Aufgalopp in ein Superwahljahr, an dessen Ende sich entscheidet, ob die Grünen nach 16 Jahren im Bund wieder an die Macht kommen. Wenn es Kretschmann wieder gelingt, die Südwest-CDU auf Rang zwei zu verweisen, wäre das starker Rückenwind für Annalena Baerbock, Robert Habeck und Co. Grünen-Chef Habeck sagte denn auch in einer Videobotschaft, die Grünen kämpften «um die Richtlinienkompetenz – erst in Baden-Württemberg, dann im Bund.»

In der Corona-Pandemie hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten vor allem Markus Söder als tatkräftiger Krisenmanager präsentiert - mit Erfolg, wie die Umfragen zeigen. Wenn alle Deutschen den Kanzlerkandidaten der Union bestimmen dürften, wäre der bayerische Ministerpräsident klarer Favorit. Dass diejenigen, die eher für einen harten Kurs in der Corona-Krise eintreten, in der Wählergunst oft steigen, dürfte auch Kretschmann nicht verborgen geblieben sein.

Und so verabreicht er den per Internet zugeschalteten Delegierten eine bittere Pille. Ein größeres Familienfest an Weihnachten oder ein Treffen mit Freunden komme nicht infrage. Das habe er am Vormittag mit Kanzlerin Angela Merkel, Söder und anderen Unions-Regierungschefs vereinbart. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht in ganz Deutschland. Am Sonntag stellt sich heraus: Genau so kommt es.

Gutes Wahlergebnis für den Oberrealo

Seinem Wahlergebnis schadet die unfrohe Botschaft nicht. Kretschmann wird mit 91,5 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählt. Es sind gut fünf Prozentpunkte weniger als bei der Kür vor fünf Jahren. Das sei zu verschmerzen, Hauptsache über 90 Prozent, heißt es in seinem Umfeld. So könne er mit Rückenwind sein Ding durchziehen. Das beinhaltet auch, dass er sich nicht auf eine Koalition festlegen will - schon deshalb nicht, um ein denkbares schwarz-grüne Bündnis im Bund nicht unnötig zu torpedieren. Er barmt, man solle doch bitte die Zeit mit der SPD nicht «verklären».

Hinter Kretschmann lichten sich die Reihen

Gleichwohl steht die Frage im Raum, ob Kretschmann bei einem Wahlsieg die ganze Legislaturperiode regieren will oder schon vorher für einen jüngeren Nachfolger den Platz freimachen könnte. Bei den Grünen wird diese Frage aber nur hinter vorgehaltener Hand gestellt. Kretschmann sagt am Rande des Parteitags nur: «Ich kann ihnen versichern, dass ich für eine vierte (Amtszeit) nicht kandidiere.»

Bei den Grünen steht zur nächsten Wahlperiode ein Generationswechsel an. Bewährte Kräfte wie Finanzministerin Edith Sitzmann und Umweltminister Franz Untersteller hören auf. Letzterer musste jüngst auch noch Spott über sich ergehen lassen, weil er mit seinem Auto mit 177 Sachen über die Autobahn gerast war, obwohl nur 120 km/h erlaubt waren. Fritz Kuhn ist als Stuttgarter OB nicht mehr angetreten. Prompt ging die Wahl mit der Kandidatin Veronika Kienzle klar verloren. Der letzte grüne OB in einer größeren Stadt ist Boris Palmer in Tübingen. Doch der ist wegen diverser Provokationen vor allem für Parteilinke ein rotes Tuch.

Frohe Botschaft für Boris Palmer

Doch hier hat Kretschmann immerhin eine - zumindest für Palmer - frohe Weihnachtsbotschaft parat. Nachdem das «Enfant terrible» per Interview um «Versöhnung» mit den Grünen gebeten hatte, beschied der Regierungschef milde: «Ich bin immer für Versöhnung.» Und: «Der Versöhnungsprozess ist doch schon eingeleitet.» In der Tat hatte neulich Habeck bei «Markus Lanz» gesagt, ein Rauswurf aus der Partei wegen Palmers Äußerungen über ältere Menschen («Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären») sei kein Thema mehr. Mittlerweile imponiert vielen, wie Palmer ältere Mitbürger mit einer Reihe von Maßnahmen schützt. Und dass er Tübingen 2030 klimaneutral machen will, beeindruckte die Berliner «tageszeitung» «taz» dermaßen, dass sie titelte: «Paradies unter Palmer».

(dpa/lsw)

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