Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat mit einem eindringlichen Appell die Bevölkerung aufgefordert, die neuen geplanten verschärften Corona-Regeln einzuhalten, um das Virus wieder zurückzudrängen. «Deshalb müssen wir jetzt das Ruder herumreißen, sonst kommen wir in schwere Bedrängnis», sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag im Stuttgarter Landtag. Zugleich mahnte er die Menschen erneut, auf Reisen in den anstehenden Herbstferien zu verzichten. Unterdessen kippte der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshofs das Beherbergungsverbot im Land.
Kretschmann sagte, es sollten vermeidbare Reisen aus Risiko- und in Risikogebiete unterlassen werden. Das Beherbergungsverbot war auch innerhalb der grün-schwarzen Landesregierung zuletzt umstritten. Kretschmann wollte es für Geschäftsreisende aufheben und für touristische Reisen beibehalten. Ihm kam nun der Verwaltungsgerichtshof zuvor. Das Gericht hob die Regelung komplett auf. Dieses galt bislang für Gäste aus deutschen Regionen, in denen 50 oder mehr neue Corona-Fälle pro 100 000 Einwohner binnen 7 Tagen registriert wurden.
Das Beherbergungsverbot ist in Baden-Württemberg damit vorläufig mit sofortiger Wirkung außer Vollzug gesetzt, wie das Gericht mitteilte. Das Gericht sah den Einschnitt in das Grundrecht auf Freizügigkeit als unverhältnismäßig an. Das Land habe auch nicht darlegen können, dass Hotels und Pensionen «Treiber» des Infektionsgeschehens seien, so dass drastische Maßnahmen nötig seien.
Tourismusminister Guido Wolf (CDU) sagte, die Aufhebung sei nicht überraschend gekommen. Er habe auch immer auf rechtliche Bedenken hingewiesen. Die Landesregierung laufe gerade Gefahr, das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zu verspielen, wenn Beschlüsse nicht nachvollziehbar seien oder gar über die Grenze der verfassungsmäßigen Zulässigkeit reichten, kommentierte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Das Verbot sei für ihn «die Mutter allen Unsinns» gewesen.
Kretschmann hatte am Mittwoch beim Treffen der Länderchefs mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teilgenommen. Die Runde der Regierungschefs konnte sich aber auf keinen einheitlichen Kurs beim Thema Beherbergungsverbot einigen. Es soll nach den Herbstferien erneut diskutiert werden. Bund und Länder hatten sich aber unter anderem auf eine Ausweitung der Maskenpflicht, eine Begrenzung der Gästezahl bei privaten Feiern, Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum und eine Sperrstunde für die Gastronomie in Hotspots verständigt.
Kretschmann sagte, das Virus habe nichts an seiner Gefährlichkeit eingebüßt. Innenminister Thomas Strobl (CDU) verteidigt die Vereinbarung im Südwestrundfunk bereits ab 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen Maßnahmen zu treffen, unter anderem mit einer erweiterten Maskenpflicht. Über die Einzelheiten werde im Land jetzt zu sprechen sein. Kretschmann erklärte, man tue alles, damit die Schulen und Kindertagesstätten offen blieben. «Wir dürfen die Wirtschaft nicht herunterfahren.» Die Menschen sollten weiter ihrer Arbeit nachgehen können. «Inzwischen erholt sich die Wirtschaft langsam.» Es wäre fatal für alle, wenn dieser zarte Aufschwung nun wieder abgewürgt werde.
Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz sagte: «Es entscheidet sich jetzt, ob ein schlimmerer Verlauf abgewendet werden kann.» Ähnlich äußerte sich auch die oppositionelle SPD. Jeder einzelne müsse seinen Beitrag zur Eindämmung des Virus leisten, sagte Fraktionschef Andreas Stoch. CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart erklärte, der Kampf gegen Corona müsse man nun unter erschwerten Bedingungen weiterführen. «Jetzt rollt die Welle durch ganz Europa und macht auch vor Baden-Württemberg nicht mehr halt.» Es müsse aber immer von neuem über die richtige Balance von Freiheit und Beschränkungen gerungen werden. AfD-Fraktionschef Bernd Gögel kritisierte die neuen auf den Weg gebrachten Maßnahmen. Angst und Panik zu verbreiten sei kein guter Ratgeber.
(dpa/lsw)