Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) hat das Beherbergungsverbot im Südwesten für verfassungswidrig erklärt und mit sofortiger Wirkung außer Vollzug gesetzt. Das Gericht teilte am Donnerstag in Mannheim mit, es habe einem Eilantrag einer Familie aus Nordrhein-Westfalen gegen das Beherbergungsverbot für Menschen aus Hochrisikogebieten in Baden-Württemberg stattgegeben. Für die Baden-Württemberger bedeutet dies, dass Menschen aus den Corona-Hotspots - etwa Stuttgart und der Landkreis Esslingen - ab sofort im eigenen Land wieder in Hotels, Pensionen oder Ferienwohnungen übernachten dürfen. Dafür ist auch kein aktueller negativer Corona-Test mehr nötig.
Damit kommen die Richter der Politik zuvor: Beim Spitzentreffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten am Mittwoch hatte es keine Einigung über diese umstrittene Maßnahme gegeben. Die Politiker vertagten das Thema erst einmal bis zum 8. November. Bis dahin soll diese Maßnahme auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte kurz vor Bekanntwerden der VGH-Entscheidung angekündigt, das Beherbergungsverbot für Geschäftsreisende - nicht für Urlauber - aufzuheben. Die Ausnahmeregelung sollte bis zum 8. November gelten.
Das Beherbergungsverbot bestand bislang für Gäste aus deutschen Regionen, in denen 50 oder mehr neue Corona-Fälle pro 100 000 Einwohner binnen 7 Tagen registriert wurden. Die Antragsteller kommen aus Nordrhein-Westfalen aus einem Kreis mit kritischer Inzidenz-Zahl und hatten einen Urlaub im Kreis Ravensburg gebucht.
Das Gericht würdigte das Bemühen der Landesregierung, die Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit für eine potenziell große Zahl von Menschen einzudämmen. Allerdings sei das Verbot ein unverhältnismäßiger Einschnitt in das Grundrecht auf Freizügigkeit.
Das Land habe auch nicht darlegen können, dass Hotels und Pensionen «Treiber» des Infektionsgeschehens seien, so dass solche drastische Maßnahmen nötig seien. Eingriffszweck und Eingriffsintensität stünden in keinem angemessenen Verhältnis zueinander. Das Land müsse auch immer wieder prüfen, ob sein Konzept noch in sich stimmig sei. Es erschließe sich nicht, dass sämtliche Geschäfte, Freizeitstätten und Restaurants unter Auflagen öffnen dürften, Beherbergungsbetriebe aber davon teilweise ausgenommen seien.
Es sei den Antragstellern auch nicht zumutbar, bis zu 48 Stunden vor Ankunft genommene negative Corona-Tests vorzulegen. Man könne nicht gewährleisten, dass Reisende in so kurzer Zeit einen Corona-Test erlangen könnten (Az. 1S3 3156/20).
Die vor Gericht erfolgreiche Familie tritt nun ihren Urlaub im Kreis Ravensburg an. Das sagte die Anwältin der Familie, Elisabeth Rahe, der Deutschen Presse-Agentur. Die Familie sei bei dem Urlaub in einem Ferienhaus unter sich und in keinem Hotel, betonte die Anwältin.
Die Antragsteller hatten laut Gericht für die Zeit vom 16. Oktober 2020 bis zum 23. Oktober 2020 einen Urlaub im Kreis Ravensburg gebucht. Am 10. Oktober 2020 wurde im Kreis Recklinghausen, in dem die Familie wohnt, der Neuinfektions-Wert von 50 überschritten. Damit gilt der Kreis seitdem als Risikogebiet.
Die Urlauber aus NRW argumentierten gegenüber dem Gericht unter anderem, die Vorlage eines negativen Corona-Tests diskriminiere Gäste aus Regionen mit schlechten Testkapazitäten und Familien. Sie hätten es nicht geschafft, ein Testergebnis innerhalb von weniger als 72 Stunden zu erlangen - wobei es nur 48 Stunden alt sein darf. Weiterhin müsse der Test privat bezahlt werden und belaste die Antragsteller mit ihren drei Kindern erheblich.
Tourismusminister Guido Wolf (CDU) begrüßte die Entscheidung des 1. Senats: «Die Argumentation entspricht dem Vorbringen zahlreicher Verwaltungs- und Verfassungsrechtler der vergangenen Tage und auch unseren rechtlichen Bedenken gegen das Verbot, auf die ich immer wieder hingewiesen habe.» Gerade um die Akzeptanz für die verschärften Maßnahmen nicht zu gefährden, müsse man sich auf solche konzentrieren, die das Infektionsrisiko zu senken versprächen - etwa bei privaten Feiern. Die FDP-Landtagsfraktion freute sich über das Ende des «Frontalangriffs auf das Hotel- und Gaststättengewerbe».
Das Land kann keine Rechtsmittel einlegen.