Die Wortwahl wird schärfer, die Auflagen werden es auch: Während die Zahl der Corona-Kranken sprunghaft steigt, bereiten sich immer mehr Kreise und Städte auf weitere Einschränkungen in ihrer Region vor. Vor allem die Lage in den größeren Städten besorgt Politik und Gesundheitsexperten und erinnert vage an die Situation im vergangenen Frühjahr. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte sich am Freitag (12.30 Uhr) unter anderem mit Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) und den Verantwortlichen der zehn anderen größten deutschen Städte beraten.
Als erste Region in Baden-Württemberg hat der Kreis Esslingen die Warnstufe erreicht und Konsequenzen gezogen. Als Maßstab gilt der kritische 50er-Wert bei der sogenannten 7-Tage-Inzidenz. Er bildet die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen ab. Der Kreis wird nach Schätzungen von Experten nicht der einzige Hotspot in Baden-Württemberg bleiben.
Wo ist es besonders kritisch?
Nach dem Kreis Esslingen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von zuletzt 54,6 bewegt sich auch die Landeshauptstadt Stuttgart auf die kritische Marke zu. Dort lag der Wert am Donnerstag bereits bei 43,7. Ebenfalls hohe Zahlen weisen die Kreise Ludwigsburg, Göppingen und Schwäbisch Hall, der Ortenaukreis und Mannheim auf. Die niedrigste Ansteckungsgefahr besteht den Zahlen zufolge momentan im Kreis Rottweil.
Was plant das Land angesichts der steigenden Zahlen?
Die Bundesländer können weitgehend in eigener Verantwortung über Einschränkungen oder aber die Lockerung von Auflagen entscheiden. Schärfere Regeln auf Landesebene sind zurzeit in Baden-Württemberg nicht vorgesehen. «Eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum wird derzeit nicht flächendeckend geplant», sagte eine Sprecherin. Zuletzt hatte eine Mehrheit der Bundesländer zudem ein Beherbergungsverbot für Reisende aus Orten mit sehr hohen Corona-Infektionszahlen beschlossen, sofern die Touristen keine maximal 48 Stunden alten negativen Corona-Test vorlegen können.
Wie reagieren die Städte?
Städte wie Mannheim, Mühlacker und auch Stuttgart folgen mit ihrer Verschärfung der Empfehlung der Bund-Länder-Kommission von Ende September. Sie nimmt vor allem Feiern im Familien- und Freundeskreis ins Visier. Deshalb gilt in der Quadratestadt und anderen betroffenen Regionen wie Stuttgart eine Beschränkung von Feiern auf 25 Personen in Privatwohnungen und 50 zum Beispiel in Restaurants. Städte wie Mannheim ergänzen dies um weitere Auflagen zum Beispiel für das nächtliche Alkoholverkaufsverbot an Wochenenden. Auf öffentlichen Plätzen muss in Esslingen ein Schutz über Mund und Nase getragen werden.
Die Zahlen steigen, es wird mehr getestet. Reichen die Kapazitäten aus?
Das Sozialministerium verweist auf das flächendeckende Netz der Corona-Ambulanzen durch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Tests könnten in den rund 50 Corona-Testzentren sowie in über 900 Corona-Schwerpunktpraxen vorgenommen werden. Der am stärksten betroffene Kreis Esslingen baut seine Kapazitäten zudem aus. Im Abstrichzentrum in Nürtingen können laut Landratsamt pro Tag 600 Tests durchgeführt werden. Mit einem zweiten Abstrich-Zentrum, das nun auf der Messe wieder eröffnet werden soll, könnten täglich mehr als 1000 Menschen getestet werden, hieß es.
Und Hausärzte?
Auch Hausärzte dürfen testen. Sie gehen aber ganz unterschiedlich mit den Corona-Abstrichen um. «Manche schicken die Menschen, die einen Test brauchen, sofort zur Corona-Schwerpunktpraxis, andere testen ihre eigenen Patienten nach der Sprechstunde», sagte eine KVBW-Sprecherin. Allerdings ruft der Hausärzteverband niedergelassene Mediziner wegen der bevorstehenden Grippesaison auf, weitere Corona-Schwerpunktpraxen (CSP) einzurichten. Die bestehenden 900 Praxen müssten alle Menschen mit Erkältungssymptomen auf Corona testen, zugleich die wegen der Pandemie besonders empfohlene Grippeimpfung vornehmen und die Grundversorgung sichern, sagte der Landesverbandsvize Frank-Dieter Braun. Sie seien damit überfordert.
Sind die Ärzte ausreichend ausgerüstet?
Es scheint so, ja. Derzeit gebe es keinen Mangel an Schutzausrüstung und Abstrich-Kits, die Labore seien aus-, aber nicht überlastet, sagte die KVBW-Sprecherin. «Da haben wir noch keine Krise.»
Und wie sieht es auf den Intensivstationen aus?
Derzeit (Stand: 9. Oktober, 11.00 Uhr) sind 2326 von 3221 verfügbaren Intensivbetten im Land belegt. Zudem gibt es eine Notfallreserve von 1528 zusätzlich aufstellbaren Intensivbetten, die innerhalb von sieben Tagen verfügbar wäre. Das geht aus Daten des sogenannten Intensivregisters hervor, auf die sich auch das baden-württembergische Sozial- und das Innenministerium bei der Steuerung der Corona-Lage im Land berufen. In Zusammenhang mit Covid-19 werden im Südwesten derzeit 66 Menschen behandelt, 31 davon müssen beatmet werden.