Der Schock beim Schreiben dieser Zeilen sitzt noch tief, und wir wissen noch nicht genau, wie wir die Geschehnisse überhaupt deuten sollen. Doch von vorne: Wir haben unser Homeoffice bereits in den Tagen vor Weihnachten direkt vor den geschmückten Weihnachtsbaum platziert. Teils aus Platzgründen, teils aber auch, weil die Lichter stets für eine wundervoll-friedliche Atmosphäre sorgen. Hier sitzen wir auch in den ersten Tagen des neuen Jahres am Schreibtisch – und genießen in den Nachmittags- und Abendstunden die warmen Lichter und den schönen Ausblick neben dem Monitor. Bis der etwas mehr als zwei Meter hohe Baum samt Christbaumständer und ohne berührt worden zu sein mit einem lauten Knall aus heiterem Himmel umfällt. Nur knapp verfehlt er den Tisch, an dem wir sitzen. Kugeln sind zerbrochen, Nadeln überall, und Hund und Katze flüchten mit gesträubtem Fell und nie dagewesener Schnelligkeit vor dem grünen Ungetüm. Wie konnte das passieren? Wähnten wir uns doch im Homeoffice besonders sicher, so ohne Autofahrt und sonstige Unfallquellen auf dem Weg. Doch auch das Homeoffice birgt offenbar Gefahren – obwohl der Baum ordentlich im Ständer verschraubt war und regelmäßig für Wasser-Nachschub gesorgt wurde. Die Kollegen, die wir über das Weihnachtsbaum-Attentat informieren, stellen allerlei Vermutungen an: Wurde er gar heimlich angesägt? Ist der Rest der Familie also gar nicht verschwunden, um uns in Ruhe arbeiten zu lassen, sondern hatte das Ganze heimtückisch geplant? Oder ist es ein Racheakt des Baumes, weil dieser nicht mit der diesjährigen besonders bunten Dekoration einverstanden und der quietschende Plastik-Donut unserer Nichte zuviel des Guten war? Nach langem Grübeln fällt unser Blick auf den Kater, der als erster Vierbeiner langsam von seinem Fluchtort zurückkehrt und um das Corpus Delicti streunert: Hatte der Vierbeiner nicht kürzlich sehr genau die Kugeln erkundet, einige Exemplare mit der Vorderpfote leicht angetippt und das Wackeln der bunten Zier genau beäugt? Hat er sich vielleicht später – in unserer Abwesenheit – als weihnachtlicher Tarzan versucht, der zwar nicht von Liane zu Liane, aber von Kugel zu Kugel turnte? Wir werden vermutlich nie herausfinden, was tatsächlich passiert ist, doch künftig im Homeoffice genauer auf unser körperliches Wohlergehen achten. Für den Baum war diese Aktion jedoch der vorzeitige Todesstoß: Auf die Abholung heute Morgen musste er seit dem Angriff nämlich draußen warten. Keine Gnade.
Eva Baumgartner